Schon seit halb fünf Uhr morgens stehen Carlos und Robinson in der Schlange vor der Tür des Hilfswerks Acogem in der Madrider Innenstadt. "Wer später kommt, muss sich hinten anstellen und kriegt oft nichts mehr ab", sagen die beiden Ecuadorianer. Sie sind zwei von mindestens zwei Millionen Menschen in Spanien, die seit Beginn der anhaltenden Wirtschaftskrise auf kostenlose Lebensmittel angewiesen sind.
Lebensmittel-Spenden für Spanien
Im vergangenen Jahr haben die gemeinnützigen Lebensmittelbanken Spaniens, die vergleichbar sind mit den Tafeln in Deutschland, mehr als 100.000 Tonnen Nahrung an 7.000 Hilfsorganisationen wie Acogem verteilt - 20 Prozent mehr als noch 2010. Die Statistik der europäischen Lebensmittelbanken zeigt die besondere Bedeutung der Gratis-Nahrung in Spanien im europäischen Vergleich: 21 Staaten gehören der "European Federation of Food Banks" an, doch ein Viertel aller kostenlosen Nahrungsmittel wurde 2011 in Spanien verteilt.
Seit Beginn der Krise wächst mit der Not auch die Spendenbereitschaft. Trotzdem reicht die Unterstützung längst nicht aus: Landesweit erreichen die Hilfsorganisationen eigenen Angaben zufolge 65 Prozent der Notleidenden. Im Ballungsraum Madrid sind es nur 20 Prozent.
###mehr-artikel###Das wissen auch Carlos und Robinson. Was sie bei Acogem bekommen, reiche höchstens für zwei Tage, erzählen sie. Vor zwei Jahren habe es noch regelmäßig Milch und Joghurt oder Gemüse gegeben, schaltet sich eine Frau ein. Viele Bedürftige haben einen Kalender verinnerlicht, um über die Runden zu kommen: Dienstags gehe er zu einer evangelischen Gemeinde, mittwochs zu einer katholischen und am Freitag eben zu Acogem, sagt Carlos.
Vielen Betroffenen ist es peinlich, um Essen bitten zu müssen. Niemand will seinen vollen Namen nennen, alle sind arbeitslos, viele bekommen keine Unterstützung mehr. Die 54-jährige Paloma aus der Dominikanischen Republik lebt seit 30 Jahren in Spanien. Nach einer Rückenoperation kann sie nicht mehr als Reinigungskraft arbeiten. Ihr Arbeitgeber hat sie entlassen. "Selbst wenn ich heute etwas zu essen bekomme, löst das meine Probleme nur für einen Augenblick. Ich brauche dringend Arbeit", erklärt sie.
Nur noch eine Mahlzeit am Tag
Niemand berichtet, wirklich an Hunger zu leiden. Doch sie esse weniger, teile Vorhandenes besser ein, die Familie müsse oft aufs Abendessen verzichten, sagt eine Ecuadorianerin, die zuletzt für 750 Euro im Monat ein altes Ehepaar betreut hat. Freunde von ihr suchten nachts auch in den Mülltonnen vor dem Großmarkt Mercamadrid nach Essen, erzählt sie. Eine Reportage in der "New York Times" über Menschen, die im Müll nach Essen suchen, sorgte in Spanien jüngst für große Empörung, weil dadurch im Ausland ein schiefes Bild von der Situation in Spanien entstehe.
Auch den karitativen Hilfswerken gefallen die Nachrichten über den "Hunger in Spanien" nicht. "Das Bild von Kindern mit Hungerbäuchen gibt es hier nicht", sagt Rosa Vinagre, Sprecherin der Lebensmittelbank in Madrid. Doch sie erklärt auch: "Bei manchen reicht das Geld nur noch für eine Mahlzeit am Tag. Arbeitslose holen sich die Lebensmittel umsonst, damit sie wenigstens die Wohnung noch bezahlen können. Die würden sie sonst auch noch verlieren."
Während die Lebensmittelbanken den Prinz-von-Asturien-Preis für sozialen Zusammenhalt erhalten haben, sehen manche in den langen Schlangen vor den Ausgabestellen ein Versagen des Sozialstaats. Der spanische Schriftsteller Juan José Millas etwa unterstreicht, der Staat habe grundlegende soziale Bedürfnisse wie die Ernährung seiner Bevölkerung zu befriedigen. Das müsse ein Grundrecht sein.