In der Regel kann es einem völlig egal sein, wie viel Lebenszeit Autoren, Regisseure oder Produzenten in ein Werk investiert haben. Zum Glück ist "Absurdistan" ein derart märchenhaft schöner Film geworden, dass man guten Gewissens erzählen kann, wie mühsam er zustande gekommen ist. In sage und schreibe 28 Ländern hat Regisseur Veit Helmer nach seinen Darstellern suchen lassen, 2.400 Menschen haben für eine der vielen Rollen vorgesprochen, 400 Darsteller hat er persönlich getestet. Darüber hinaus dauerte es Monate, bis er einen geeigneten Drehort fand. Schließlich entschied er sich für eine aserbeidschanische Bergregion, die die nötige Kargheit besitzt, um als Hintergrund für diese äußerst ungewöhnliche Liebesgeschichte zu dienen.
Ungewöhnlicher Streik
Seit ihrer Kindheit wissen Temelko und Aya, dass sie füreinander bestimmt sind. Mit 14 bitten sie nach traditioneller Sitte Ayas Großmutter, die Sterne zu deuten. Ihre Liebesnacht, weissagt die alte Frau, werde stattfinden, wenn sich am Himmel die Sternbilder Jungfrau und Zentaurus vereinigten; allerdings erst in vier Jahren. Und zuvor müssten beide baden, damit sie wie schwerelos zu den Sternen fliegen. Temelko überbrückt die Wartezeit unter anderem mit einer Ausbildung in der Stadt, kehrt jedoch pünktlich wieder zurück. In der Zwischenzeit aber hat sich Entscheidendes getan: Die Wasserversorgung des Dorfes wird von einer unterirdischen Quelle gespeist. Die uralten Rohre sind längst marode, das Wasser versickert unterwegs. Weil jedoch weiland beim Bau des Leitungssystems mehrere Männer gestorben sind, tun sich ihre Nachkommen mit der Reparatur etwas schwer; sie verzichten lieber auf eine gewisse Hygiene als auf ihr Leben. Die Frauen antworten mit einem ungewöhnlichen Streik: Erst gibt es keinen Sex mehr, dann auch kein Zusammenleben. Militärischer Stacheldraht teilt das Dorf in zwei Hälften. Auch die Liebenden sind getrennt, und Temelko weiß: Der lebensgefährliche Weg zu Ayas Herz führt durch die Höhle, aus der das Wasser kommt.
Die Geschichte klingt zu schön, um wahr zu sein, aber tatsächlich wurde Helmer durch eine Zeitungsnotiz inspiriert: In einem südtürkischen Dorf sind Frauen in den Sexstreik getreten, um die Männer auf diese Weise zur Reparatur der Trinkwasserleitungen zu zwingen. Der Rest aber ist Romantik. Helmer, der "Absurdistan" auch produziert hat, verblüfft dabei immer wieder mit überraschenden Einfällen. Meist handelt es sich um komplizierte Apparaturen, mit denen Temelko (Maximilian Mauff) seine Angebetete beeindrucken will, etwa eine Gondel, die die Geliebte mit Hilfe einer abenteuerlich konstruierten Seilbahn über die Dächer des Dorfes zum gemeinsamen Bad befördert. Weil er für die Zisterne aber die letzten Trinkwasservorräte geplündert hat, schimpft sie ihn einen Egoisten und stellt ihn vor die Wahl: Wasser für alle oder Liebe für keinen. Temelko bleiben nur noch wenige Tage, bis die günstige Konstellation der Sterne endet.
So hemmungslos romantisch Helmer seine Liebesgeschichte verpackt, so deftig und rustikal ist der Film, wenn es um die Sitten in dem Bergdorf geht. Ohne dabei je unappetitlich zu werden, charakterisiert er gleich zu Beginn in einem herrlichen musikalisch ironisierten Potpourri, wie das Zusammenleben funktioniert; Ähnlichkeiten der Einwohner mit einem berühmten gallischen Dorf dürften kein Zufall sein. Außerdem gelingt Helmer in seinem dritten Film (nach "Tuvalu" und "Tor zum Himmel") das Kunststück, weitgehend ohne Dialoge auszukommen; nur gelegentlich ergreifen Temelko und die schöne Aya (Kristýna Malérová in ihrem Filmdebüt) das Wort, um die verschrobenen Gebräuche zu erklären.