"Es gibt kaum noch Platz für Foto-Erzählgeschichten"

Daniel Pilar/F.A.Z.
Rolf Nobel, Professor für Fotojournalismus an der Hochschule Hannover.
"Es gibt kaum noch Platz für Foto-Erzählgeschichten"
Fotos können mehr sagen als Worte und benötigen keine Übersetzung. Sie dokumentieren, erklären, machen Situationen, Schicksale und Details sichtbar. Das beweisen nicht nur die jährlich mit dem World Press Photo Award ausgezeichneten Aufnahmen. Doch Digitalkameras und Smartphones machen es Amateuren leichter in die Welt der Fotojournalisten vorzudringen. Professor Rolf Nobel vom Studiengang Fotojournalismus der Hochschule Hannover spricht im evangelisch.de-Interview über die zunehmende Konkurrenz für professionelle Pressefotografen und ihre Zukunft.

Herr Nobel, in der Welt des Fotojournalismus verändert sich viel durch Online-Journalismus und Smartphones. Wie sehen Sie die Zukunft des Fotojournalismus unter diesen Bedingungen?

Ich sehe für den Fotojournalismus eigentlich keine Bedrohung durch das Fotografieren mit Smartphones oder Handys. Damit werden ja überwiegend typische Paparazzi-Fotos gemacht. Man trifft als Tourist einen Prominenten oder ist als Autofahrer bei einem Unfall zugegen, holt das Handy raus und macht ein Foto. Das ist aber nur ein ganz, ganz kleines Segment der journalistischen Fotografie. Ein Unternehmen wie Volkswagen lässt nicht einfach irgendjemand ans Fließband, um die Produktion der neuen Generation des Golfs zu knipsen. Auch ein Interview oder ein Porträt von einem Politiker oder einem  Künstler kann ein Amateur gar nicht fotografieren, weil er den Zugang gar nicht bekommt. Diese fragen natürlich, für wen das Foto ist und in wessen Auftrag es gemacht werden soll und wollen die Zeit dafür auch nur zur Verfügung stellen, wenn sie das Gefühl haben, da kommt etwas professionelles bei raus. Deswegen ist dieser Bereich für uns Fotojournalisten keine Bedrohung. Das Problem wird überbewertet.

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Das Problem liegt in einem ganz anderen Bereich. Beispielsweise hat eine Hobbyfotografin, als vor einigen Jahren der Transrapid verunglückt ist, einen Freund gebeten, sie in seinem Kleinflugzeug über den für Rettungskräfte freigehaltenen Luftraum der Unfallstelle zu fliegen. Sie hat dann aus dem Flugzeug Bilder gemacht. Die sind dann veröffentlicht worden. Dass diese Leute die ethisch-moralischen Regeln dieses Berufes überhaupt nicht kennen und sich einfach darüber hinwegsetzen, das finde ich das viel größere Problem. Wirtschaftlich sind diese Handy-Paparazzis aber keine Bedrohung für die professionellen Fotografen. Allerdings haben wir durch ambitionierte Amateurfotografen Verluste beim Archivverkauf unserer Bilder erlitten. Das sind Leute, die in der Lage sind, Bilder zu gestalten und die auch technisch auf hohem Niveau sind. Die haben gerade in der Reisefotografie den Markt vollkommen platt gemacht. Dadurch haben Agenturen wie laif, die größte Fotoagentur Deutschlands, erhebliche Verluste im Reisebereich erlitten. Auch ich verkaufe in diesem Bereich quasi gar keine Fotos mehr. Das hat bei mir früher einen relativ großen Anteil ausgemacht.

Hat es denn Auswirkungen, dass die schreibenden Journalisten immer häufiger eine Kamera in die Hand gedrückt bekommen und bei Terminen selbst Fotos machen sollen? 

Das hat natürlich Auswirkungen, allerdings fast nur im Bereich der Tageszeitungsfotografie oder der kleinen speziellen Magazine, die nur ein ganz kleines thematisches Segment abdecken. Nehmen wir ein Heft, dass von einer Landwirtschaftskammer oder der Raiffeisenbank herausgegeben wird, da nehmen die Redakteure eine digitale Kamera in die Hand und knipsen selbst. Man muss aber auch sagen, dass die Honorare sich dort in einem derart niedrigen Niveau bewegen, dass gesamtwirtschaftlich dies im fotografischen Bereich wahrscheinlich auch keine so wahnsinnig große Rolle spielt.

"Nach wie vor machen die Bilder überweigend professionelle Fotografen"

Sie bilden Fotojournalisten aus. In welchen Bereichen arbeiten denn ihre Absolventen, wenn es nicht die Tageszeitungen sind und auch die Reisefotografie immer weniger wird?

Man muss da unterscheiden. Bei den großen Tageszeitungen, wie der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) passiert es so gut wie nie, dass ein Redakteur selbst fotografiert, um mal ein Beispiel einer hannoverschen Zeitung zu nennen. Aber bei den kleinen regionalen Ausgaben wird oft nicht extra ein Fotograf zum Termin hingeschickt, um das Bild zu machen. Da übernimmt dies der Redakteur dann selbst. Bei den großen regionalen Zeitungen, wie Weserkurier, Kieler Nachrichten, HAZ, Leipziger Nachrichten, da spielt das, wenn überhaupt, nur in den kleinen lokalen Ausgaben eine Rolle. Nach wie vor machen dort die Bilder überwiegend professionelle Fotografen.

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Wird das so bleiben?

Das ist eine gute Frage. Ich glaube schon, dass sich die Situation verschärfen wird. Einfach vor dem Hintergrund der technischen Entwicklungen. Ein Fotograf, der bei uns acht Semester lang  studiert und eine sehr gute Ausbildung bekommt, der ist natürlich jedem Knipser, der vielleicht ein guter Schreiber ist, fotografisch haushoch überlegen. Schon allein die technischen Barrieren waren in der Fotografie bislang relativ hoch. Das ist eine sehr komplexe Technik, mit der man da arbeiten muss. Aber das ändert sich. Zurzeit sind die Firmen schon dabei, Kameras zu entwickeln, bei denen man zum Beispiel im Nachhinein den Schärfepunkt festlegen kann.

Ich glaube daher, dass mit der größeren technischen Perfektion der Kameras der Zugang zur Fotografie mehr und mehr Leuten geben wird, die keine profunde fotografische Ausbildung haben. Deshalb wird perspektivisch die Konkurrenz größer werden. Eine ähnliche Entwicklung sehen wir im Bereich Multi-Media. Seit ein paar Jahren können Fotokameras auch filmen und zwar auf einem sehr, sehr  hohen Niveau. Bei Musikclips ist es schon gang und gäbe, dass man diese mit einer Fotokamera dreht, weil diese sehr klein und leicht ist und Bilder ermöglicht, die man mit so einem riesigen, professionellen Videogerät gar nicht machen kann oder nur mit großem technischen Aufwand. Heute werden Filme von Fotografen gedreht, für die man früher einen professionellen Kameramann brauchte. 

"Die Zukunft liegt im Mulit-Media-Bereich. Und wir reagieren darauf"

Das heißt, ein Fotograf der sich als Fotojournalist ausbilden lässt, sollte sich zeitgleich auch als Kameramann ausbilden lassen oder wo liegt die Zukunft?

Nein, die Zukunft liegt im Multi-Media-Bereich. Und wir reagieren darauf im Studiengang Fotojournalismus an der Hochschule Hannover ja schon, weil wir einfach gemerkt haben, dass dieser Bereich immer größer wird. Das hat relativ einfache Gründe. Die großen Fotostrecken in den Magazinen werden immer kleiner und sie nehmen zahlenmäßig ab, das heißt: Ich habe kaum noch Platz, wo ich große Foto-Erzählgeschichten ausbreiten kann. Jetzt haben wir aber das Internet. Das bietet jedem einen freien Zugang, ich muss mich mit keiner Redaktion abstimmen, ich habe keine hohen technischen und finanziellen Schranken zu überwinden. Ich kann ganz einfach das, was ich fotografiere, selbst ins Internet stellen und veröffentlichen.

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Aber es bietet noch mehr Möglichkeiten: Ich kann mit Ton arbeiten, ich kann mit Bewegtbild arbeiten und vor diesem Hintergrund hat sich vor allem im Multi-Media-Bereich ein Wandel vollzogen. Mehr und mehr Fotografen bauen immer häufiger statt der reinen Audio-Slide-Show nun Bewegtbild-Sequenzen mit ein. Das verlangt von den Hochschulen im Gegenzug, dass wir filmische Arbeitsweisen unterrichten. Diese haben bis vor fünf Jahren gar nicht zu unserem Ausbildungsfach gehört. Allerdings führt dies für die Leute mit einer Ausbildung im Filmbereich dazu, dass sie Konkurrenz aus der Fotografie bekommen. Denn gerade im kommerziellen Bereich, also für die Websites von Unternehmen oder Stiftungen, werden immer häufiger keine teuren Kamerateams mehr beschäftigt werden. Man holt sich einen Fotografen, der die komplette Geschichte mit der Fotokamera für einen Bruchteil des Geldes machen kann, was ein professionelles Fernsehteam gekostet hätte.

Früher war es gutes Renommee, für GEO oder National Geographics zu fotografieren, sind das denn heute noch wirkliche Adressen für Fotojournalisten?

Diese Aufträge sind auch nicht super gut bezahlt, aber sie sind immer noch relativ gut bezahlt. Sie sind aber vor allem deshalb noch gute Adressen, weil Stern, GEO, Brigitte, Focus, Spiegel ein gutes Image bringen. Und dieses Image ist es dann, was die Unternehmen einkaufen wollen, wenn sie sich nach einem Fotografen umsehen, der für sie eine Imagebroschüre oder einen Geschäftsbericht fotografieren soll. Die Firmen wollen sich schmücken mit dem Image der Fotografen. Ich übertreibe jetzt ein bisschen: Die wollen einfach den Popstar unter den Fotografen, und Popstar ist man eben, wenn man für Stern oder GEO arbeitet. Und diese Jobs im Corporate Publishing werden mit etwa drei Mal so hohen Tageshonoraren bezahlt wie im Journalismus. 

"Die Zeitschriften sind auf das Material der  Profis angewiesen"

Wenn sie sich jetzt Zeitungen wie GEO oder Stern anschauen: Sind die denn überhaupt noch bereit, Fotojournalisten zu beschäftigten?

In jedem Fall. Die großen Zeitungen und Zeitschriften brauchen die professionellen Fotografen. Hannoversche Fotostudenten haben jetzt gerade für die Zeitschrift Cicero eine Ruhrgebiets-Geschichte fotografiert. Die musste innerhalb von rund zehn Tagen produziert werden. Das bekommen Amateure im Traum nicht hin. So ein Auftrag fängt damit an, dass wir uns überlegen, was ist das Ruhrgebiet heute eigentlich? Was kennzeichnet das Ruhrgebiet? Dazu gehören der Niedergang von Kohle und Stahl und wie sich das traditionelle Bild verändert hat. Auch die verschiedenen und zahlreichen Kulturprojekte gehören dazu. Und auch die Tatsache, dass Nordrhein-Westfalen unter den alten Bundesländern das mit der höchsten Arbeitslosenzahl ist. Und dann muss man auf die Suche nach den visuellen Synonymen dafür gehen. Und das kriegen Amateure nicht organisiert, weil es eben auch die inhaltliche, journalistische Denkweise erfordert und sie dann häufig auch gar nicht den Zugang bekommen. Ein Fotostudent hat dafür beispielsweise am Fließband bei Opel fotografiert, da kommt ein Amateur gar nicht rein. Die Zeitschriften sind in solchen Fällen auf das Material der Profis angewiesen, deshalb werden Stern und auch GEO auch in Zukunft immer mit Profis zusammenarbeiten.