Vertreter der Kampagne "Jetzt erst Recht(e) für Flüchtlingskinder!" zogen am Montag in Berlin ein Jahr nach dem Start ihrer Aktion eine ernüchternde Bilanz. Das Kindeswohl der jungen Flüchtlinge trete nach wie vor hinter den Bestimmungen im Ausländerrecht zurück, sagte Vize-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD). Dies werde Kindern aber nicht gerecht.
Besonders kritisierte er die nach wie vor auch für Kinder mögliche Abschiebehaft. Sie sei ein "politisch-moralischer Skandal" und eine "Schande für den demokratischen Rechtsstaat". Nach Angaben Thierses, der Schirmherr der National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention ist, warten in Deutschland etwa 16.000 Kinder auf eine Entscheidung im Asylverfahren. 24.000 Kinder leben als Geduldete in der Bundesrepublik. 3.000 bis 6.000 Kinder kamen unbegleitet von Eltern oder anderen Verwandten und Freunden nach Deutschland.
"Gesetzliche Leistungen für Asylbewerber verstoßen gegen Völkerrecht"
Die UN-Kinderrechtskonvention wurde 1992 von Deutschland ratifiziert. Die Bundesrepublik machte aber einen Vorbehalt hinsichtlich des Ausländerrechts geltend. Dieser wurde vor zwei Jahren zurückgenommen. Seitdem habe die Bundesregierung jedoch wertvolle Zeit verstreichen lassen, ohne das deutsche Ausländer- und Asylrecht an die dortigen Bestimmungen anzupassen, kritisierte Albert Riedelsheimer von Pro Asyl. Er mahnte Gesetzesänderungen an.
Riedelsheimer kritisierte, dass bei Flüchtlingskindern eine "Sozialhilfe zweiter Klasse" angewendet werde. So bekomme ein sechsjähriges Kind im Hartz-IV-Bezug 251 Euro monatlich. Ein gleichaltriges Flüchtlingskind müsse dagegen in Deutschland mit 132 Euro auskommen. Dies seien gerade mal 4,40 Euro pro Tag für Nahrung, Kleidung, Hygiene und Bildung. Nach Ansicht der Sprecherin der National Coalition, Sabine Skutta, verstößt das Asylbewerberleistungsgesetz damit gegen das Grundgesetz und geltendes Völkerrecht.
Kinderrechte gehören ins Grundgesetz
Solange Ausländerrecht vor Kindeswohl gehe, werde das Leben vieler Kinder ruiniert, sagte der Schirmherr der Kampagne, der Soziologe Lothar Krappmann. Nach Skuttas Angaben lebt ein Drittel der Flüchtlingskinder mehr als vier Jahre nach den Regeln des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Krappmann, der acht Jahre Mitglied im UN-Ausschuss für Kinderrechte saß, sagte, es dürfe keine Ausreden mehr geben, die eine konsequente Umsetzung der Konvention verhinderten. Neben Gesetzesänderungen mahnte er eine unabhängige Beschwerdestelle an, die Fälle mutmaßlicher Nichtachtung von Rechten für Flüchtlingskinder behandeln und auch öffentlich machen könne.
Die Vorsitzende der Kinderkommission des Bundestages, Diana Golze (Linke), erklärte, dass das Gremium sich bisher nicht einstimmig für Gesetzesänderungen ausgesprochen habe. Golze forderte die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz. "Nach meiner persönlichen Auffassung würde dies auch Flüchtlingskindern zugute kommen", sagte sie.