Lärmstress unter dem Meer

Foto: epd-bild/Rolf Zöllner
Die Meeresbiologin Christina Müller-Blenkle im Zoo-Aquarium in Berlin mit Süßwasserfischen aus dem Amazonas. Seit über zehn Jahren forscht die 45-Jährige über die Wirkung von Schall auf Meerestiere.
Lärmstress unter dem Meer
Schiffsschrauben, Bohrinseln, Baulärm - unter dem Meeresspiegel dröhnt und piept es unaufhörlich. Die Folgen des Unterwasserkrachs: Fische und Wale verlieren die Orientierung, werden schwerhörig, pflanzen sich nicht mehr fort. Eine Reportage zum heutigen Tag des Meeres.
08.06.2012
epd
Ulrike Krickau

In den Ohren von Menschen klingt das Zwitschern der Vögel schöner, aber für den Kabeljau sind Grunzlaute lebenswichtig. Denn so verständigt sich der Fisch während der Partnersuche, und grunzend koordiniert das Fischpaar die Laichablage. Aber was geschieht, wenn Lärm, etwa die Baugeräusche einer Offshore-Windkraftanlage, die Kommunikation des Kabeljaus stört?

Die Antwort darauf kennt Christina Müller-Blenkle: "Dann wird es keinen Nachwuchs geben". Seit mehr als zehn Jahren forscht die promovierte Berliner Meeresbiologin zur Wirkung von Schall auf Meerestiere. Die 45-Jährige hat Kabeljau und Schollen mit tieffrequenten reinen Tönen beschallt, in einem speziell für Schallexperimente gebauten Becken von zehn Metern Durchmesser. Ziel war es, den Erbauern von Offshore-Windkraftanlagen qualifizierte Informationen darüber zu geben, in welchem Frequenzbereich der Schallschutz besonders wichtig ist.

Das Ergebnis war eindeutig: "Die Tiere sind dem Schall ausgewichen, sie sind in Bereiche geschwommen, die leiser waren". Die stärksten Reaktionen zeigten sie in einem Bereich zwischen 60 und 125 Hertz.  Ihre Studie lieferte erste Anhaltspunkte, doch von den rund 27.000 Fischarten wurden bislang nur etwa 100 Arten jemals untersucht, und erst bei einer guten Handvoll Fischarten gab es umfassendere Forschungen zur Reaktion auf Schall.

Fische sind sehr empfindlich gegen Lärm

Das Objekt dieser Forschungen, das Gehör der Fische, ist eine recht komplexe Angelegenheit: Da ein Fisch zu etwa 80 Prozent aus Wasser besteht, durchdringen ihn die Schallwellen auf die gleiche Weise, wie sie seine Umgebung durchdringen. Doch die kleinen Kalksteinchen in seinem Ohr sind schwerer als Wasser und werden von den Schallwellen langsamer bewegt. Sie liegen auf den Haarsinneszellen, deren Sinneshaare durch die Bewegung der Steine verbogen werden und dadurch einen Reiz an das Gehirn weiterleiten.

Ist der Schall zu stark, kann nicht nur die Schwimmblase von Fischen platzen. Schon geringere Lautstärken können die Haarsinneszellen schädigen und zu einer vorübergehenden oder bleibenden Schwerhörigkeit führen. Und das bringt den Fisch in Lebensgefahr: "Fische können orientierungslos werden", sagt Christina Müller-Blenkle, "oder, was nicht minder gefährlich ist: Wenn sie nicht mehr hören, was um sie herum geschieht, wissen sie nicht, wo ihre Beutetiere sind oder ob sich ihnen ein Räuber nähert". Der Kabeljau etwa kann einen seiner Feinde, den Orca, am Schall erkennen.

Zwei Jahre untersuchte Müller-Blenkle mit einer britischen Forschergruppe eingehend die Auswirkungen von Schall auf Kabeljau und Seezunge. Dazu beschallten sie riesige Netzgehege mit Geräuschen, wie sie in einigen Kilometern Entfernung von Baustellen der Offshore-Windkraftanlagen zu hören sind. Die Fische waren mit Sendern ausgestattet, ihre Bewegungssignale wurden aufgezeichnet. Während die Fische vor dem Beschallen in einem recht kleinen Gebiet ihre Kreise zogen, schwammen sie während des Lärms hektisch hin und her, um sich nach dem Abschalten des Schalls wieder zu beruhigen.

Zwischen Tierschutz und Bauarbeiten einen Kompromiss finden

"Dabei war ihr Verhalten individuell ganz unterschiedlich", sagt Müller-Blenkle. Nicht alle versuchten, die Flucht zu ergreifen. Vielleicht, sagt Müller-Blenkle, hatten die Fische gute Futterquellen gefunden, vielleicht war das Nachbarterrain bereits besetzt oder sie hatten sehr viel Zeit und Energie darauf verwandt, alles auszukundschaften. Daraus den Schluss zu ziehen, die ortsfesten Tiere seien nicht beeinträchtigt, hält sie für nicht zulässig. "Das Verlassen eines Lebensraumes kann für ein Tier einen noch erheblich größeren Aufwand bedeuten als ein Leben im Stress."

Zuletzt war Müller-Blenkle an einer Umweltverträglichkeitsstudie zu den Auswirkungen von Bau- und Betriebsschall auf Meeressäuger bei einer Querung des Fehmarnbelt beteiligt. Auch die Meeressäuger bleiben, ähnlich wie die Fische, nicht unbeeinträchtigt: "Der Schweinswal produziert Ultraschall, um seine Beute zu finden, und wenn es laut ist, kann er seine Beute nicht in dem Radius aufspüren, den er zu seiner Ernährung braucht."

Der Lärmstress der Fische hat auch unmittelbare Auswirkungen auf den Fischfang und damit wirtschaftliche Folgen. Aus den Forschungen aber den Schluss abzuleiten, dass von Bauarbeiten und auch dem Betrieb von Offshore-Windanlagen oder Bohrtürmen im Meer ganz abzuraten ist, geht Müller-Blenkle dann aber doch zu weit. "Aber man kann Schallwellen reduzieren und beispielsweise leisere Tanker bauen. Da bewegt sich im Moment viel, und es darf sich ruhig auch noch mehr bewegen."

Der Tag des Meeres wird seit 2009 jeweils am 8. Juni begangen. Die Vereinten Nationen wollen damit an die Bedeutung der Ozeane für Gesundheit, Ernährungssicherheit und Klimagleichgewicht erinnern.