"Gospel ist wie ein Fenster zum Himmel"

epd-bild, Fotograf: Norbert Neetz
Der Frankfurter Gospelchor im Gottesdienst.
"Gospel ist wie ein Fenster zum Himmel"
Martin Bartelworth, Geschäftsführer des Gospelkirchentages, im Interview
Beim Gospelkirchentag in Dortmund werdem vom 1.-3. Juni Tausende Sängerinnen, Sänger und Musikbegeisterte erwartet. Martin Bartelworth ist Geschäftsführer des Gospelkirchentags und hat nichts dagegen, dass geistige Inhalte auch unterhaltend sein können.

Gospel lässt sich rein sprachlich als das Verkünden von Botschaften auf den Begriff bringen. Was ist Gospel für Sie?

Martin Bartelworth: Auf jeden Fall vom christlichen Glauben bestimmt. Für mich ist Musik generell und ganz besonders die Gospelmusik Sprache Gottes, wie ein Fenster zum Himmel. Wenn ich mehr rational herangehe, finden sich in der Gospelmusik Glaubenszeugnisse, die geeignet sind, die eigene Nähe und Distanz hierzu zu bestimmen.

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Von seinen Wurzeln her ist Gospel eine Musikkultur mit afro-amerikanischem Hintergrund. Worin besteht denn der Reiz des Genres, etwa für eine heutige Kirchengemeinde in Zentraleuropa?

Bartelworth: Ganz sicher in der Wirkung, in der spontanen Wirkung, in der Übertragbarkeit, in der Kommunikation, dass Gospelmusik wirklich berührt, ansteckt, mitnimmt. Etwa Menschen im kirchlichen Gottesdienst, die sich in einem einfachen Rhythmus rasch finden und versammeln.

"Es gibt eine Form von Kirchenmusik, die man auch im Radio hören kann, die kompatibel ist zu den heutigen Hörgewohnheiten"

Wenn Musik ohnehin gemeinschaftsbildend ist, was ist dann der "Hype" von Gospelmusik?

Bartelworth: Es gab einen Hype um den Kinofilm "Sister Act", die hüftenschwingenden Nonnen, die Gospel gesungen haben. Das hat viele wachgerüttelt, die gesagt haben: Es gibt eine Form von Kirchenmusik, die man auch im Radio hören kann, die kompatibel ist zu den heutigen Hörgewohnheiten. Hier in NRW hören nach aktueller Auswertung zum Beispiel nur drei Prozent der WDR-Hörer in der Woche klassische Musik. Alle anderen schalten Programme mit populärer Musik ein. Der moderne Kirchenchor singt dann entsprechend Gospelmusik oder nennt sich auch so. Wer in der Zeitung ankündigt, dass ein neuer Gospelchor gegründet wird, darf zur ersten Probe viele Sängerinnen und Sänger begrüßen.

Martin Bartelworth. Foto: Ingrid Smolarz

In der Aufführungspraxis geistlicher Chormusik lässt sich als ein Pol die gleichsam statische Unbeweglichkeit der Protagonisten beschreiben. Was ist dann Gospelsingen? Der Gegenpol? Eher Show?

Bartelworth: Ich trenne nicht so strikt. Im Übrigen habe ich nichts dagegen, dass geistliche Inhalte auch unterhaltend sein können – nicht im banalisierenden, auch nicht im anbiedernden Sinne. Eine Messe von Bach unterhält im guten und auch im geistlichen Sinne

Erreicht der Funke der Gospelmusik speziell Jüngere?

Bartelworth: Das ist nicht unsere Erfahrung. Vielmehr geht er durch alle Generationen, was wesentlich mit den sehr unterschiedlichen Stilen dieser Musik zu tun hat. Einmal unterliegen selbst die traditionellen Gospels und Spirituals einem Wandel. Zum anderen sind Gospelelemente auch in viele andere Musikstile eingebaut worden. Es gibt heute eine moderne Gospelmusik, die nichts mehr mit dem Stil von "Sister Act" zu tun hat.

Gibt es den typischen Gospelsänger?

Bartelworth: Ja, das ist zu 80 Prozent eine Sängerin. Wir haben es eigentlich mit einer Frauenbewegung zu tun. Die Männer sind deutlich in der Minderheit. Mit einem Durchschnittsalter von 42 Jahren sind die Sängerinnen und Sänger jünger als die im üblichen Leben der Kirchengemeinden Engagierten. Unabhängig davon beobachten wir eine gute Situation beim Nachwuchs für die Chöre.

"Die gewisse Seelenlosigkeit mancher kirchlichen Veranstaltung gewinnt ein Stück Vitalität zurück"

Das "Audio Design" einer typischen evangelischen Kirchengemeinde lässt sich als eher spartanisch beschreiben. Kommt durch Gospelmusik in das "Nördliche" eines so empfundenen Kirchenlebens so etwas wie das "Südliche", was ihr vielleicht gut tut?

Bartelworth: Absolut. Viele sagen, dadurch zieht Leben in die Kirche ein. Und die gewisse Seelenlosigkeit mancher kirchlichen Veranstaltung gewinnt so ein Stück Vitalität zurück. Das würde auch Jesus und seinen Jüngern gefallen.

Ein Element von Gospelmusik ist die Interaktion zwischen Individuum und Gemeinschaft, so durch den Wechselgesang von Vorsänger und Chor. Was wird hier stärker gefördert, der Einzelne oder die Gruppe?

Bartelworth:  Durch die Gruppe die Individualität. Das Selbsterleben in der Gruppe wird zum Gewinn für den Einzelnen selbst. Es entstehe praktisch ein funktionierender Kreislauf zwischen dem Gemeinschaftserleben und der eigenen Stärkung. Das ist übrigens auch ein zentraler Befund einer Erhebung aus 2009 unter 8.500 Sängerinnen und Sängern in Zusammenarbeit mit dem sozialwissenschaftlichen Institut der EKD (SI).

Dortmund erlebt vom 1. bis 3. Juni den Sechsten Internationalen Gospelkirchentag. Sie vermelden bereits 5.500 Anmeldungen. Was sticht diesmal besonders heraus?

Bartelworth: Die musikalische Landschaft wird noch bunter, der Hintergrund der Gospelchöre noch vielfältiger. Beispielsweise hat sich ein "Straßenchor" angesagt, ein Projekt, das mit Obdachlosen arbeitet. Wir erwarten mit den "Silberlocken" aus Arnsberg ein Ensemble, das sich innerhalb der offenen evangelischen Altenarbeit aus 60- bis 90-jährigen gebildet hat. Mit Posaunenchören wird eine Gospelmesse eingeübt und aufgeführt, ein Vernetzungsprojekt mit Posaunen- und Gospelchören und einem Organisten. Immer mehr Posaunenchöre wagen sich ja auch an Swing und Popmusik. Nicht zuletzt wird es ein eigenes Jugendfestival mit 300 Jugendlichen auf dem Gospelkirchentag geben.

"In diesem Jahr setzen wir den inhaltlichen Pfad auf 'Ihr macht Kirche'"

Welche relevanten Trends beobachten Sie?

Bartelworth: 2002 stand als Zeichen gegenüber den Gospelchören "Ihr gehört zur Kirche" im Vordergrund. 2008 lautete das Signal "Ihr seid Kirche". In diesem Jahr setzen wir den inhaltlichen Pfad auf "Ihr macht Kirche". Damit ist der Akzent darauf gerichtet, Kirche zu leben und auszuformen…

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… was auch auf das Motto für Dortmund "Gospel für eine gerechtere Welt" verweist?

Bartelworth: Ja. Denn aus dem Gemeinschaftserlebnis des Einzelnen erwächst die Dimension der Tat. Was können wir an Positivem für uns selber, aber auch aber auch im Sinne einer Weltverantwortung tun, in die wir alle gestellt sind? Also nicht nur von einer besseren Welt singen, sondern konkret auch etwas dafür tun, im persönlichen Umfeld als Teil einer globalen Entwicklungshilfe. Bis heute gibt es bereits an die 60 ausgebildete Chorbotschafter, die bei Gospelchören Abende zu Themen wie Weltgerechtigkeit oder globale Zusammenarbeit anbieten. Der Gospelkirchentag ist der klassische Katalysator von Dingen, die aufgenommen, kräftig durchgewirbelt und danach in einer höheren Potenz den Chören im Alltag zugänglich gemacht werden.

Ist die praktizierte Gospelmusik rein traditionell? Oder gibt es auch heutige, also neue Kompositionen?

Bartelworth: Aber ja, so in den USA, in Skandinavien, auch in Deutschland. Ich nenne als Beispiel für viele "May the Lord send Angels" von Helmut Jost. Der Song existiert auch in einer gelungenen deutschen Textfassung und hat Einzug in viele Gemeindeliederbücher gefunden.

Speziell in Deutschland leidet das Image von Chormusik immer noch unter der Instrumentalisierung durch das NS-Regime. Kann Gospelmusik mit ihrer unbändigen Freiheitsbotschaft hier verändernd wirken?

Bartelworth: Durchaus, wenn auch noch nicht ganz bei den älteren singenden Akteuren. Bei den Jüngeren hingegen lässt sich mit dem zeitlichen Abstand zu damals feststellen, dass die Menschen viel freier sind, mit dem Singen in Gemeinschaft umzugehen. Es ist ja bekannt, dass Nazi-Deutschland bestimmte Mechanismen bewusst eingesetzt hat, um Menschen nicht in die Freiheit zu führen, sondern in die Abhängigkeit und die Unterdrückung. Gospel ist da geradezu das Gegenprogramm.