Mitgefühl: Schlüssel zur Lösung der Menschheitsprobleme

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Mitgefühl - das systematisch gelernt und vermittelt werden könne - sei der Schlüssel zur Lösung der Probleme der Menschheit, so die international bekannte Religionswissenschaftlerin Karen Armstrong.
Mitgefühl: Schlüssel zur Lösung der Menschheitsprobleme
Wie eine Ex-Nonne mit der "Goldenen Regel" die Welt befrieden will
Alle Religionen eint die Überzeugung: "Behandle deinen Nächsten so, wie du selbst behandelt werden möchtest." Die Ex-Nonne Karen Armstrong will mit diesem ethischen Anspruch zur Überwindung von Konflikten beitragen und sucht dazu weltweit Verbündete.
28.04.2012
epd
Stephan Cezanne

Bislang weitgehend unbeachtet haben Vertreter aus Judentum, Christentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus und Konfuzianismus  in der Schweiz eine "Charta der Anteilnahme" (Charter for Compassion) erstellt. Initiatorin ist die britische Religionswissenschaftlerin und frühere Nonne Karen Armstrong (67). Sie will mit der Charta von Anfang 2009 das "Mitgefühl wieder ins Zentrum des religiösen und moralischen Lebens rücken".

Karen Armstrong. Foto: Charter for Compassion.

Mitgefühl - das systematisch gelernt und vermittelt werden könne - sei der Schlüssel zur Lösung der Probleme der Menschheit, urteilt die international bekannte Wissenschaftlerin und Autorin von 15 Bestsellern. "In einer Zeit, in der die verschiedenen Religionen weithin als unvereinbare Kräfte wahrgenommen werden, lässt sich an einem solchen Projekt auch zeigen, dass wir uns in diesem Punkt trotz beträchtlicher Unterschiede alle einig sind", wirbt Armstrong in ihrem aktuellen Buch "Die Botschaft" (Pattloch-Verlag).

"Gott, Brahman, Nirwana oder Dao"

Die "Charta der Anteilnahme" wurde weltweit in Umlauf gebracht, in Synagogen, Moscheen, Tempeln und Kirchen sowie in weltlichen Einrichtungen. "Aber die Arbeit steht noch ganz am Anfang", sagt Armstrong.

In allen Religionen sei Mitgefühl der Prüfstein echter Spiritualität. Mitgefühl bringe "in Kontakt mit dem Transzendenten, das wir als Gott, Brahman, Nirwana oder Dao bezeichnen", sagt die Wissenschaftlerin, die 2009 den Leopold-Lucas-Preis der Universität Tübingen erhielt und deren Bücher in 45 Sprachen übersetzt wurden. Armstrong berät Regierungen und internationale Institutionen. 2008 gewann sie den mit 100.000 US-Dollar dotierten internationalen TED-Preis (Technology, Entertainment, Design). Das Preisgeld setzt sie für ihre Initiative ein.

Jede Religion habe ihre eigene Version des Prinzips entwickelt, das manchmal als die "Goldene Regel" bezeichnet wird: "Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem anderen zu." Positiv ausgedrückt: "Behandle andere so, wie du selbst behandelt werden möchtest." Darüber hinaus beharrten alle Religionen darauf, dass man Solidarität nicht auf die eigene Gruppe beschränken dürfe, sondern Mitgefühl mit allen Menschen haben sollte, sogar mit seinen Feinden. Armstrong: "Leider ist heute kaum von einem solchen Mitgefühl die Rede."

Konfuzius soll der erste gewesen sein

Der chinesische Weise Konfuzius (551 bis 479 vor Christus) soll der Erste gewesen sein, der die Goldene Regel formulierte, so Armstrong. Als er gefragt wurde, welche seiner Lehren seine Schüler "täglich und den ganzen Tag" befolgen könnten, soll er geantwortet haben: "Die Nächstenliebe (shu). Was du selbst nicht wünschest, tu nicht an andern." Er erklärte, das sei der rote Faden, der sich durch seine gesamte spirituelle Methode ziehe, die er "den Weg" (dao) nannte, und diese Regel fasse alle seine Lehren zusammen.

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Armstrong warnt davor, Mitgefühl mit Mitleid zu verwechseln und mit einem unkritischen, sentimentalen Wohlwollen zu assoziieren. "Diese Wahrnehmung von Mitgefühl ist nicht nur weit verbreitet, sondern auch fast unausrottbar in den Köpfen verankert", beklagt die Autorin. Das Deutsche Universalwörterbuch definiert Mitgefühl als "Anteilnahme am Leid, an der Not anderer". Die Goldene Regel fordere auf, "festzustellen, was uns Schmerz bereitet, und uns dann zu weigern, diesen Schmerz - unter welchen Umständen auch immer - einem anderen zuzufügen".

In der "Charta der Anteilnahme" heißt es, im Kern forderten alle religiösen, ethischen und spirituellen Traditionen dazu auf, "andere so zu behandeln, wie wir uns das für uns selbst wünschen". Barmherzigkeit sei "der Pfad zur Erleuchtung und unverzichtbar für eine gerechte Wirtschaft und friedvolle Weltgemeinschaft."

Hans Küng: Kein Frieden zwischen den Nationen ohne Frieden unter den Religionen

Diese Thesen erinnern an das Weltethos-Projekt des katholischen Theologen Hans Küng. Der 84-Jährige predigt seit den 80er Jahren unermüdlich seine Formel: Kein Frieden zwischen den Nationen ohne Frieden unter den Religionen. Kein Frieden zwischen den Religionen ohne Dialog. Von Politik, Kirche und Wissenschaft fordert Küng seit langem einen umfassenden Bewusstseinswandel. In seiner Stiftung "Weltethos" führt er das aus seiner Sicht Beste aus allen Weltreligionen zusammen.

Die Religionen sind laut Armstrong heute jedoch "Teil des Problems", obwohl deren "mitfühlende Stimme" eigentlich dringend gebraucht werde: "Unsere Welt ist gefährlich gespalten. Macht und Reichtum sind besorgniserregend ungleich verteilt, und als Ergebnis davon wachsen Wut, Unbehagen, Entfremdung und das Gefühl von Demütigung, die sich in terroristischen Gewalttaten entlädt, die uns alle gefährden." Es komme daher heute nicht darauf an, ein gläubiger Mensch zu sein, urteilt sie: "Sondern es kommt darauf an, ein guter Mensch zu sein."

Buchtipp: Karen Armstrong: "Die Botschaft - Der Weg zu Frieden, Gerechtigkeit und Mitgefühl". Pattloch Verlag 2012. 240 Seiten, 19,20 Euro.