Nora Steen und das Wort für Baku

Rundfunkarbeit der EKD/Stephan Born
Nora Steen beim Dreh für das Wort zum Sonntag aus Baku, das vor dem ESC ausgestrahlt wird.
Nora Steen und das Wort für Baku
Wenn Pfarrerin Nora Steen am Samstagabend vor dem Fernseher in Hildesheim sitzt, hat sie eine fünftägige 8.000-Kilometer Dienstreise hinter sich. Einigermaßen erschöpft wird sie sich selbst auf dem Bildschirm sehen, mitten im televisionären Eurovisions-Trubel, am Samstag um fünf vor neun. Sie wird nicht die Kandidaten des Songwettbewerbs oder gar den Sieger verkünden, sondern die christliche Botschaft.

Das klingt ziemlich wirr. Also der der Reihe nach: Nora Steen, Jahrgang 1976, ist die jüngste Sprecherin des Wortes zum Sonntag. Welterfahren und theologisch versiert, locker und eloquent, jung und blond: Aus Sicht der Fernsehkirchenmacher ist die Theologin eine mediale Kirchentraumfrau.

Eigentlich schlau also, diese pastorale Ausnahmeerscheinung mit einer ganz besonderen Mission in den fernen Osten zu entsenden. Denn allen ist klar: Wer will fünf Minuten vor Beginn des Eurovision Song Contest schon das Wort zum Sonntag sehen? Kurz vorher haben Udo Lindenberg und Jan Delay von der Reeperbahn-Bühne aus die Fans angeheizt, die Stimmung auf Eurovisions-Parties und in heimischen TV-Zimmern schaukelt sich unaufhaltsam hoch – da kann das Wort zum Sonntag eigentlich nur als Spaßbremse daherkommen. One point, ein Punkt, höchstens. Nora Steens Aufgabe ist, das Klischee des sauertöpfischen Protestantismus zu widerlegen. Fünf Minuten hat die Pastorin Zeit dafür. Aber wie hält eine Pastorin Menschen vor dem Bildschirm, die eigentlich etwas anderes sehen möchten? Nora Steen ist jedenfalls motiviert: "Wieso nicht mal versuchen Leute dazu bringen, nicht grad Biernachschub zu holen oder die Pinkelpause einzulegen, sondern sitzen zu bleiben und mal anzuhören, was da eine Frau von der Kirche zu sagen hat?"

Nicht anbiedern, nicht verheddern

In den Minuten direkt vor dem Eurovision-Song-Contest lauern besonders tiefe Fallen auf sie. Die Anbiederung an die Eurovisions-Zuschauer zum Beispiel. Und das allzu rasche Ummünzen der Show-Situation auf das Leben. Viele Wort-Zum-Sonntag-Sprecher haben sich in den vergangenen Jahren bereits verheddert.

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"Klar, eine gute Leistung ist wichtig", sagte etwa Pfarrerin Elke Rudloff 2009 wohlmeinend in die Kamera – "hier gleich auf der Bühne und genauso auf den kleinen Bühnen unseres Lebens." Ordensschwester Jordana Schmidt begann ihren Text im Jahr 2006 mit dem ziemlich uncoolen Satz "Musik ist cool" – um dann beim Kindermutmachlied zu enden: "Gott spricht zu dir: Ich mag dich, du!" Drei Stunden später siegte die finnische Hardcore-Band Lordi mit ihrer ziemlich unspirituellen Variante des Glaubensthemas: "Hard Rock Halleujah". Auch der katholische Wort-zum-Sonntag-Priester Gereon Alter meinte, beim jugendlichen Publikum mit Englischkenntnissen punkten zu können. "Feel your heart beat" wünschte er jovial der deutschen Sängerin Lena.

Und was hat Nora Steen vor? Abgereist ist sie am Dienstag mit vielen Ideen im Kopf. Und einigen Verabredungen im Kalender. Mit einem aserbaidschanischen Menschenrechtler möchte sie sich treffen und mit einem lutherischen Pfarrer. Was sie hört und vor Ort erlebt, will sie in ihr Wort zum Sonntag einfließen lassen.

Nicht die Freude nehmen, aber die Kritik nicht aussparen

"Ohne Bezug auf die Situation vor Ort wäre das Wort zum Sonntag sicherlich fehl am Platze", meint die Theologin. Sie möchte den Zuschauern nicht die Freude nehmen – aber trotzdem einen Blick hinter die medial geschönte Fassade des Landes wagen, in dem vieles im Argen liegt. Zum Beispiel besteht die Gefahr, dass die Bänder mit dem fertig produzierten Wort zum Sonntag vor der Rückreise von übereifrigen Staatsschützern konfisziert werden. "Dann würden wir es in Deutschland nochmal im Studio produzieren", erklärt Steen. Das werden die Zuschauer am Samstag abend dann selbst sehen.

Fest steht: Die Pfarrerin wird mit Millionen anderen vor dem Bildschirm sitzen und um fünf vor neun den "Wort zum Sonntag"-Vorspann sehen und hören. Und nach ihrer Sendung die Show sehen, bei der rund 100 Millionen Zuschauer in ganz Europa mit den Stars ihres Landes fiebern. "Ich finde es sehr erhebend zu merken, wie ungeheuer vielfältig Europa ist", freut sie sich schon im Voraus.

Ob Roman Lob den Preis nach Deutschland holt? Die Wettbüros sehen eher die russische Großmütter-Sextett Buranowski Babuschki, den britischen Senior-Charmeur Engelbert Humperdinck oder die niederländische Folk-Sängerin Joan Franka als Sieger. Aber, wie sang schon Katja Ebstein 1970 beim Grand Prix: "Wunder gibt es immer wieder". Das Wunder, dass Roman Lob gewinnt. Oder das Wunder, dass die Menschen Nora Steen zuhören und zwölf Punkte geben.

TV-Tipp: Samstag, 26. Mai, ARD: 20.15 Countdown für Baku; 20.55 Uhr Das Wort zum Sonntag; 21 Uhr: Finale des Eurovision Song Contest