"Das Urheberrecht wird ganz sicher nicht abgeschafft"

dpa/Jens Büttner
"Das Urheberrecht wird ganz sicher nicht abgeschafft"
Der Journalist und Journalistenausbilder Matthias Spielkamp beschäftigt sich beim Webportal iRights.info seit Jahren mit dem Wert und Schutz von immateriellen Werken in der digitalen Welt. Dass Urheber und Filesharer zur Zeit aggressiv aufeinanderprallen, wundert ihn nicht – in der von besorgten Schriftstellern angestoßenen Debatte herrsche aber viel Unwissen und unberechtigte Angst.

Sie arbeiten seit vielen Jahren als Journalist. Ist Ihnen dabei schon mal ein Text gestohlen worden, Herr Spielkamp?

Matthias Spielkamp: Nicht das ich wüsste. Oder genauer gesagt: Für mein Gefühl nicht. Mein Urheberrecht wurde auf jeden Fall schon verletzt. Natürlich. Wenn jemand einen Beitrag von mir bei Facebook postet und dabei drei Absätze daraus übernimmt, bevor er auf den Originaltext verlinkt, wurde damit mein Recht verletzt. Ich freue mich aber darüber – und es nützt mir und anderen Journalisten in dieser Situation auch, weil ich und meine Arbeit dadurch bekannt werden und das neue Aufträge bedeuten kann.

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Das sehen viele Urheber in Deutschland offenbar anders: Mehr als 1.500 Autoren – darunter viele bekannte Schriftsteller – haben einen Aufruf unterschrieben, der vor der Abschaffung des Urheberrechts warnt . Müssen bald alle Künstler in Deutschland von Almosen leben, weil im Internet geklaut, geteilt und kostenlos Werke konsumiert werden können?

Spielkamp: Nein, nicht mehr oder weniger als in der Vergangenheit. Es gibt keinen äußeren Anlass für den Vorstoß der Schriftsteller. Das Urheberrecht wird in Deutschland nicht abgeschafft. Das steht übrigens nicht einmal im Parteiprogramm der Piratenpartei – auch wenn das oft behauptet wird und einzelne Piraten das schon mal geäußert haben. Und stünde es dort: Es wäre in den deutschen Parlamenten auf keinen Fall mehrheitsfähig. Das Gefühl, durch unerlaubte Kopien im Internet bedroht zu sein, gärt aber schon seit Jahren. Warum gerade Schriftsteller jetzt in die Öffentlichkeit gehen, ist etwas rätselhaft. Ihre Werke werden viel seltener unerlaubt kopiert und ins Netz gestellt als zum Beispiel die von Musikern oder Filmemachern. Und ich glaube auch nicht, dass erfolgreichen Autoren wie Daniel Kehlmann, der ja auch mit unterzeichnet hat, solche Kopien bedeutend schaden. "Die Vermessung der Welt" wurde immerhin 1,5 Millionen Mal verkauft. Weniger bekannte Schriftsteller haben es materiell natürlich schwerer. Es ist extrem schwierig, von der Schriftstellerei zu leben. Ohne viele Lesungen geht es für viele gar nicht. Und dann entsteht schon das Gefühl, für seine erbrachte Leistung nicht angemessen entlohnt zu werden.

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Arme Schriftsteller gab es aber schon immer.

Spielkamp: Ich bezweifle, dass deren Probleme durch das Internetzeitalter entstanden sind. Ob durch das illegale Verbreiten von Werken finanzielle Nachteile entstehen, ist auch gar nicht zweifelsfrei bewiesen. Es wird ja in der Debatte mit Studien um sich geworfen, die alles Mögliche beweisen sollen – die jeweilige Position eben. Und dabei gibt es auch Untersuchungen, die zeigen, dass die Nutzer, die kostenlose rechtswidrig kopierte Inhalte konsumieren, ohnehin nicht für sie bezahlt hätten. Andere kaufen sie, obwohl sie sie auch kostenlos herunterladen können. Das Netz ist in jedem Fall eine Chance, bekannt zu werden – und das kann sich auch materiell auszahlen. Der Schriftsteller Paolo Coelho zum Beispiel hatte 2008 in Russland so wenig Bücher verkauft – etwa 1.000 -, dass sein Verlag ihn fallen ließ. Also stellte er selber eine russische Version seines Weltbestsellers "Der Alchemist" kostenlos online, die natürlich auch sofort ihren Weg in die Tauschbörsen fand. Inzwischen hat er dort mehr als 10 Millionen Bücher verkauft.

Es gibt also eigentlich gar kein Internet-Problem für Urheber?

Spielkamp: Doch, schon. Tauschplattformen oder auch Youtube können Urhebern schon schaden, denn nicht für jeden kann es so funktionieren wie für Coelho. Es gibt ja auch Werke, die im Team entstehen wie Filme oder Computerprogramme, bei denen der Name des urhebenden Programmierers gar nicht ersichtlich ist. Aber man kann die Plattformen auch zum eigenen Geschäftsmodell machen.

"Wir scheißen auf eurer Urheberrecht", solche Sätze haben überzeugte Filesharer als Gegen-Aufruf ins Netz gestellt. Und die Hackergruppe Anonymous hat drohend Daten über die Künstler ins Netz gestellt, die beim Urheberrechts-Aufruf unterzeichneten. Das hört sich unversöhnlich an.

Spielkamp: Das ist eine der Extrempositionen. Auch das geht in dem aktuellen Diskurs völlig unter. Viele, die Dinge am Urheberrecht kritisieren, sind nicht komplett gegen ein Urheberrecht und vor allem nicht gegen eine gerechte Vergütung von Urhebern. Aber es gibt natürlich auch Menschen, die alles umsonst haben wollen und finden, wer nicht damit klar kommt, soll sich halt einen anderen Beruf suchen.

Welches ist die andere Extremposition?

Spielkamp: Über deren Hintergründe und Interessen wird öffentlich viel weniger bekannt und ich vermisse sie auch beim aktuellen Vorstoß: Die Musikindustrie zum Beispiel fordert ein stärkeres Urheberrecht mit Internetsperren, der Pflicht für Provider, die Daten ihrer Kunden zu analysieren und zu filtern und der Branche damit die Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen zu erleichtern. Das geht mit Einschnitten an den Bürgerrechten aller einher – und es nutzt finanziell zuerst den Unternehmen und gar nicht unbedingt dem Urheber. Gegen diese Internetsperren sind viele im Zuge der Acta-Demonstrationen auf die Straße gegangen und nicht weil sie als Nutzer alles umsonst herunterladen wollen, ohne den Urheber zu entlohnen. Die Verleger stellen den Schutz des Autors in der Öffentlichkeit in den Vordergrund – was sie schützen wollen, sind in erster Linie ihre Einnahmen.

Der Schutz der Branche nutzt den Urhebern nichts?

Spielkamp: Viele Verlage lassen sich von Urhebern sämtliche Nutzungsrechte einräumen – das Recht, den Text online zu verwerten, ihn elektronisch zu archivieren und so weiter. Sie schützen die Rechte am Werk dann gegen andere, ja. Finanziell nutzt das dann aber nur den Rechteinhabern – den Verlagen, den Musikunternehmen – und nicht den Autoren, die nur ein einmaliges Honorar erhalten. Diese Interessen muss man bei der Debatte mit im Blick haben. Gierige Nutzer gegen entrechtete Autoren – so einfach ist es eben nicht.

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Ihr Webprojekt iRights.info hat vor einer Woche Nutzer, Verwerter und Urheber an einen Tisch geholt. Wie war da der Ton?

Spielkamp: Sehr engagiert, aber auch sehr sachlich. Und auch wenn wir jetzt natürlich keine Lösung präsentieren können, konnte man merken, dass die Leute sich durchs Einander-Zuhören bewegen. Wir werden diesen Dialog auf jeden Fall weiter führen – auch weil es zu wenig Wissen über die Hintergründe und Interessen der verschiedenen Parteien gibt.

Heute wachsen Menschen mit dem Teilen von Inhalten im Internet auf. Ist der aktuelle Streit ein Generationenkonflikt und gibt es künftig überwiegend Urheber, die alles teilen wollen?

Spielkamp: Es gibt in den jüngeren Generationen mehr Menschen, die es normal finden, Inhalte für alle zur Verfügung zu stellen. In Europa hat aber die Vorstellung, dass zwischen Autor und Werk ein quasi metaphysisches Band besteht, eine lange kulturelle Tradition. Schon Kant hat über das Recht des Erschaffers am Werk geschrieben. Durch die geistige Hinwendung und Erschaffung eines Werkes – sei es nun Musik, Roman, Bild oder ein journalistischer Beitrag – entsteht demnach ein Eigentum des Urhebers an seinem Werk. Bei diesem Gefühl geht es auch nicht nur um Geld, sondern um die Hoheit über das Werk. Darum, bestimmen zu können, wer es wo und wann benutzt. Das ist sehr tief in unseren Vorstellungen verwurzelt – und bei Schriftstellern sicher noch stärker als bei Filmemachern, die im Team arbeiten und ein gemeinsames Werk schaffen. Deshalb glaube ich, dass es noch sehr lange Urheberrechte in Deutschland geben wird. Und das ist auch der Grund, warum vielen Urhebern die oft diskutierte Kulturflatrate nicht gefällt: Nach ihr würden Urheber zwar entlohnt, aber sie verlören einen Teil der Kontrolle über ihr Werk.

Die europäischen Vorstellungen von Kreativen passen also nicht ins schnelle Internetzeitalter?

Spielkamp: Nicht so gut, nein. Allerdings lassen sie sich schon mit ihm kombinieren. Man kann die Tauschkultur im Netz als Marketinginstrument verstehen und nutzen. Und sich trotzdem dagegen wehren, dass Werke in unerwünschten Zusammenhängen erscheinen.