Avi Primor: "Frieden in Nahost ist möglich geworden"

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Heilig und umstritten: Jerusalem ist ein Zankapfel zwischen Israelis und Palästinensern. Rechts im Vordergrund der muslimische Felsendom.
Avi Primor: "Frieden in Nahost ist möglich geworden"
Ist der jüdisch-palästinensische Konflikt lösbar? Welche Ängste gibt es auf beiden Seiten? Wie steht es mit der Bedrohung durch den Iran? Darf man Israel kritisieren, ohne gleich als antisemitisch zu gelten? Was ist in Günter Grass gefahren? Viele Fragen, auf die das diesjährige Johannes-Rau-Kolloquium in Wuppertal Antworten suchte. Und auch welche fand.

"Ich habe das Wort Palästinenser nicht erwähnt", sagt Avi Primor, nachdem er bereits eine ganze Weile geredet hat. "Das hätte Sie stutzig machen müssen." Man kann, wie der ehemalige Botschafter in Deutschland, lange über die verwickelte israelische Innenpolitik sprechen, ohne den Kern des Problems direkt zu thematisieren. Aber präsent ist er immer. Und am Ende findet Primor sogar eine Formel, die ein wenig Hoffnung macht.

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Ist Frieden im Heiligen Land möglich? "Ewige Feindschaft muss es nicht geben. Geschichte kann auch gelingen", hatte der damalige Bundespräsident Johannes Rau im Februar 2000 in seiner berühmten Rede vor dem israelischen Parlament, der Knesset, betont. Daran knüpfte das diesjährige Johannes-Rau-Kolloquium der Evangelischen Kirche im Rheinland an – es stand am Montagabend in Wuppertal unter dem Leitwort: "Mitverantwortung für Israel. Wie kann Geschichte gelingen?"

Niemand, der Einhalt gebietet?

In den Mittelpunkt der einleitenden Andacht stellt Pfarrerin Anne Käfer die Geschichte von Kain und Abel und fragte ganz direkt: "Gibt es denn niemanden, der Einhalt gebietet, der Streit und Mord verhindert?" Das ist auf den israelisch-palästinensischen Konflikt wohl ebenso bezogen wie auf die heftigen Diskussionen um das iranische Atomprogramm, Ahmadinedschads Vernichtungswünsche gegenüber dem Judenstaat und Israels vermeintliche Kriegspläne.

Avi Primor, Foto: epd-bild/Friedrich Stark

Primor betont zwar, dass die gegenwärtigen politischen Machtspielchen in seinem Heimatland – Netanjahu wollte erst Neuwahlen, nun schloss er überraschend ein Bündnis mit der bisher oppositionellen Kadima-Partei - nichts mit Außenpolitik zu tun haben. "Aber die Angst vor dem Iran ist echt, authentisch." Das sieht auch der rheinische Präses Nikolaus Schneider so: "Die Gefahr ist real. Darüber kann man nicht leichtfertig hinweggehen."

Allerdings sähen alle Gemeindienste keine akute Bedrohung durch iranische Atomwaffen, unterstreicht Schneider. Der Ratschef der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beobachtet mit großer Sorge, "dass da mit dem Feuer gespielt wird", und warnt dringend vor einer militärischen Option. "Wir brauchen einen anderen Weg der Verständigung. Krieg kann dieser Weg nicht sein." Ex-Botschafter Primor sekundiert dem Geistlichen: "Alle in Israel, die mit Waffen oder Geheimdiensten zu tun haben, sind gegen einen Angriff."

"Erreicht man so seine Ziele?"

Doch auch ohne Krieg halten sich in Deutschland Kritik an Israel und Solidarität mit dem Staat der Holocaust-Überlebenden prekär die Waage. "Erreicht man seine Ziele", so fragte Moderatorin Judith Schulte-Loh vom WDR angesichts der Politik der gegenwärtigen israelischen Regierung zugespitzt, "indem man Mauern baut, den Palästinensern keine Arbeit und nichts zu essen gibt?" Und ob es gleich israelfeindlich sei, auf der Seite der Palästinenser zu stehen?

Die Gemarker Kirche in Wuppertal-Barmen war Schauplatz des diesjährigen Johannes-Rau-Kolloquiums zum Thema "Mitverantwortung für Israel. Wie kann Geschichte gelingen?" Foto: Jan Kleinschmidt/EKiR

Der Theologe Ernst Michael Dörrfuß, der dem gemeinsamen Ausschuss "Kirche und Judentum" von EKD und dessen gliedkirchlichen Zusammenschlüssen vorsteht, beobachtet in den jüdischen Gemeinde eine große Sorge um die Sicherheit Israels. Und auch Ulrike Schrader, Leiterin der Begegnungsstätte Alte Synagoge in Wuppertal, rät zu Sensibilität bei Israelkritik. "Vielfach wird sie sehr kalt geübt", moniert sie. Das Gefühl, nichts sagen zu dürfen, habe mit unklaren und unverarbeiteten Schuldgefühlen zu tun.

Und damit war die Runde dann doch noch bei Günter Grass und seinem Gedicht "Was gesagt werden muss" angekommen. Dass der Schriftsteller Israel die größte Gefahr für den Weltfrieden nenne, sei "lächerlich", so Primor. "Das war nicht sehr klug von ihm." In Israel, so der frühere Botschafter, habe man die deutsche Kritik an Grass aufmerksam zur Kenntnis genommen. Auch Schneider zeigte sich von der Haltung des Autors überrascht. "Das er in der Analyse so daneben liegen kann, ist desaströs und ein ziemliches Drama."

Präses Nikolaus Schneider, Foto: Sandra Stein/evangelisch.de/ekir

Wie aber steht es um die bleibende Erinnerung an die NS-Verbrechen? Johannes Rau, dessen Frau Christine und Tochter Anna Christina Ehrengäste des Kolloquiums waren, hatte damals in der Knesset gesagt: "Gedenken wäre eine leere Hülse, wenn es nicht begleitet würde von verantwortlichem Handeln." Schneider spricht vom Bewusstsein für die Geschichte, wehrt sich gegen Verkürzungen ("Bist du für Israel oder Palästina?") und plädiert für "Erlebnisse und Erfahrungen" im Heiligen Land.

Den Konfliktparteien vor Ort legt der Präses ans Herz, ihre Sprachlosigkeit zu überwinden. Es gebe keine Alternative zu dem Bemühen, einen Ausgleich zwischen den gemäßigten Kräften zu suchen. Die Kirche solle dabei an Jesajas Wort denken: Frieden ist eine Frucht der Gerechtigkeit. "Die Siedlungspolitik geht nicht", stellt Schneider klar. Da passte es gut, dass die Kollekte der Veranstaltung, bei der der Schauspieler Bernd Kuschmann Auszüge aus der Rau-Rede vortrug, für das Bildungszentrum Talitha Kumi in Beit Jala bei Bethlehem bestimmt war.

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Am Ende spricht Primor natürlich über die Palästinenser. Sie hätten in den Jahrzehnten des Konflikts eingesehen, dass sie Israel nicht besiegen können. Umgekehrt, so der heutige Direktor des Zentrums für Europäische Studien in Herzliya, wünsche eine Mehrheit in Israel die Räumung der Westbank und die Gründung eines Palästinenserstaates. Bleibt "das allerwichtigste", die Sicherheit. "Als wir Gaza geräumt haben, bekamen wir sie nicht." Dennoch ist Primor eher zuversichtlich: "Frieden ist möglich geworden. Die Frage ist, ob man die Möglichkeit wahrnimmt."