Im Zeitalter der allumfassenden Digitalisierung hat sich auch der Drogenhandel verändert. Der Kontakt mit der Kundschaft findet über eine Website im Darknet statt, die Ware wird per Post verschickt; für die Polizei ist es so gut wie unmöglich, die Verbrecher zu fassen. Um trotzdem irgendwie an die Drahtzieher ranzukommen, wird ein Kommissar auf den Mann angesetzt, der die Methode ersonnen hat: Victor Arth, einst ein Star-DJ und heute Besitzer eines großen Clubs in Frankfurt, kassiert für jeden Deal eine Provision, macht sich aber selber nicht die Hände schmutzig.
Was nach einem typischen Stoff für einen TV-Krimi klingt, entpuppt sich jedoch als etwas zähes Beziehungsdrama. Ein Krimi würde sich darauf konzentrieren, wie der verdeckte Ermittler Robert Demant (Timocin Ziegler) das Vertrauen des Verbrechers gewinnt, aber im Mittelpunkt von "Bis ans Ende der Nacht" steht eine andere Paarung. Demant soll Arth (Michael Sideris) "zufällig" bei einem Tanzkurs kennenlernen, den der Clubbesitzer mit seiner Freundin besucht. Natürlich braucht auch Demant eine Partnerin, und jetzt wird’s emotional kompliziert. Als Begleitung fungiert eine Frau (Thea Ehre), die unschwer als ehemaliger Mann zu erkennen ist.
Leni hieß einst Lennart und war früher mit Demant zusammen. Der hat Lennarts Wunsch, eine Frau zu werden, stets für ein Hirngespinst gehalten, und sogar dafür gesorgt, dass der Freund in den Knast kommt, als er Drogen verkaufte, um sich die Operation leisten zu können. Bei Licht betrachtet ist es allerdings eher unglaubwürdig, dass sich Demants Chefin (Rosa Enskat) trotz der Vorgeschichte auf eine derartige Konstellation einlässt. Dass Leni mitmacht, ist dagegen nachvollziehbar: Sie ist mit Haftverkürzung geködert worden. Sie und Robert geben zwar nach außen ein überzeugendes Paar ab, aber sobald sie unter sich sind, geht er auf Distanz und reagiert zudem zunehmend gereizt, zumal sie sich nicht an die Vereinbarungen hält.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Auf einen Austausch von Zärtlichkeiten folgt umgehend der nächste Krach, weil Lenis Umwandlung noch nicht abgeschlossen ist und sie nicht überall berührt werden will. Kein Wunder, dass die Rahmenhandlung alsbald bloß noch wie ein Vorwand erscheint. Drehbuchautor Florian Plumeyer hatte in erster Linie ein Liebesdrama im Sinn, wie Lenis Kinderreim-Stoßseufzer "Ilse-Bilse, keiner will ’se" verdeutlicht. Dass es zum Kinostart 2023 dennoch mit dem Etikett "Großstadt-Thriller" versehen wurde, ist grotesk. Nach Ansicht von Christoph Hochhäusler, ohnehin alles andere als ein typischer Krimiregisseur, erzählt sein erster Film seit 2015 ("Die Lügen der Sieger") eine Geschichte, in der "die Krise der Männlichkeit als Oper aufgeführt wird."
Sein Regiedebüt "Milchwald" (2003) war ein Frühwerk der sogenannten Berliner Schule, deren bekanntester Vertreter Christian Petzold ist. Die Stilrichtung zeichnet sich ähnlich wie die dänischen "Dogma"-Produktionen durch sparsame Inszenierungen und inhaltliche Düsternis aus, was die Dramen stets recht freudlos wirken lässt. Das gilt auch für "Bis ans Ende der Nacht", zumal der Film mit zwei Stunden zu lang geraten ist. Auch der Verzicht auf bekannte Namen zeigt, dass der Regisseur keinen Mainstream-Film drehen wollte. Offenbar war ihm wichtig, dass die zentralen Mitwirkenden viel Theatererfahrung haben, was allerdings manch’ einen Monolog prompt recht bühnenhaft wirken lässt.
Größeres Manko ist jedoch die fehlende Nahbarkeit der Figuren. Die beiden Männer laden ohnehin nicht zur Identifikation ein. Immerhin sorgt Thea Ehre für einige berührende Momente, was sicher auch damit zu tun hat, dass die österreichische Schauspielerin und Trans-Aktivistin eigene Erfahrungen in ihre Rolle einfließen lassen konnte; vermutlich ist sie nicht zuletzt deshalb bei der Berlinale mit einem Silbernen Bären als beste Nebendarstellerin ausgezeichnet worden.
Immerhin ist die Umsetzung nicht mehr so radikal reduziert wie in Hochhäuslers Frühwerk. Anders als im populären Kino ist die Kamera zwar nicht die Erzählerin der Geschichte, sondern eine reine Beobachterin, aber die Bildgestaltung (Reinhold Vorschneider) ist auch dank der vielen Fahrten deutlich aufwändiger als in vielen anderen Filmen der Berliner Schule. Auf eine eigens komponierte Musik hat der Regisseur zwar verzichtet, aber Musik erklingt trotzdem: Die Handlung wird immer wieder durch mit Bedacht ausgewählte deutsche Chansons und Schlager von Heidi Brühl, Zarah Leander, Hildegard Knef oder Esther und Abi Ofarim kommentiert.