Dicht zusammengedrängt stehen Hunderttausende Menschen bis zum Bauch im Wasser: Dann tauchen die Gläubigen mindestens dreimal unter, dort, wo in der indischen Stadt Prayagraj der Ganges mit dem Yamuna zusammenfließt. Als beste Zeit für das morgendliche Bad gilt die Zeit zwischen vier und sechs Uhr. Tropfnass, aber still stehen die Gläubigen nach dem Untertauchen da, versunken in ihren Gebeten. Mit beiden Händen schöpfen sie Wasser und bringen es symbolisch der Sonne dar.
Millionen von Menschen haben in den ersten Tagen der Maha Kumbh Mela - dem wohl größten spirituellen Fest der Welt - ein solches Bad genommen. Der Sage nach trifft hier in der Stadt im Norden Indiens auch der mystische Fluss Sarasvati auf Ganges und Yamuna. Im Wasser reinigen sich die Gläubigen von ihren Sünden - und abseits des Bades debattieren sie über religiöse Fragen oder üben sich in Askese.
Die diesjährige Kumbh Mela ist in vielerlei Hinsicht ein Fest der Superlative: 400 Millionen Menschen werden bis zum Abschluss am 26. Februar erwartet. Für sie wurde vorübergehend eine Stadt aus 150.000 Zelten aufgebaut. 50.000 Sicherheitskräfte sollen für Ordnung und Schutz sorgen.
Diesjährige Zusammenkunft ungewöhnlich
Das hinduistische Fest wird im Wechsel an einem der vier Orte gefeiert, wo der Legende nach einst Tropfen eines Unsterblichkeitstrunks aus einem göttlichen Krug ("Kumbh") auf die Erde gefallen sind, neben Prayagraj auch in Haridwar, Ujjain und Nashik. Eine Maha ("große") Kumbh Mela findet nur alle zwölf Jahre statt - und die diesjährige Zusammenkunft gilt als ungewöhnlich, weil die Planeten in einer Konstellation zueinanderstehen, die als glücksverheißend betrachtet wird. Nur alle 144 Jahre ist das der Fall.
Maya Mishra steht vor einem Zelt auf sandigem Boden, das sie sich mit vier weiteren Frauen teilt. In einer Ecke steht ein kleiner Gasherd, auf dem Boden liegen Matten und Decken. Die 76-Jährige, die aus Prayagraj stammt, praktiziert das Ritual der Kalpavas, mit dem ein einfaches Leben am Ufer des Ganges geübt werden soll. Die sogenannten Kalpavasis verpflichten sich, einen Monat lang bestimmte Regeln zu befolgen, unter anderem Wahrhaftigkeit, Gewaltlosigkeit, Selbstbeherrschung, Wohltätigkeit und Fasten. Der spirituelle Fortschritt soll so gefördert und die Verbindung zum Göttlichen gestärkt werden.
"Wir stehen morgens um vier auf und nehmen ein Bad im Ganges", erzählt Mishra. Nach den Andachtsritualen, dem Sprechen von Mantras und Gesang nehmen sie eine vegetarische Mahlzeit ein. "Wir essen nur einmal am Tag." Eigentlich ist die Kalpavas ein zentraler Aspekt der Kumbh Mela, doch praktiziert wird sie vor allem von älteren Menschen. Die junge Generation halte die Tradition für orthodox und habe keine Zeit mehr dafür, sagt Mishra.
Die meisten der Pilger kommen, um ihren Guru zu besuchen oder für das beliebte Bad im Fluss. Wie etwa Sunita Mishra, die aus der benachbarten Stadt Varanasi angereist ist. Die 42-Jährige steigt frierend, aber strahlend aus dem Ganges: "Das Wasser ist eiskalt, aber jetzt fühle ich mich frisch, lebendig und gleichzeitig ganz ruhig", sagt sie.
Dabei zieht die Kumbh Mela nicht mehr nur Einheimische, sondern auch ausländische Touristen an. 1,5 Millionen von ihnen werden dieses Jahr erwartet. Seit 2017 hat die UN-Kulturorganisation Unesco das spirituelle Fest als immaterielles Weltkulturerbe anerkannt - und damit noch bekannter gemacht. Zu großen Konflikten führt das bisher nicht. Die meisten indischen Gläubigen freuen sich darüber, dass Ausländer sich für ihre Kultur interessieren. Die indische Nachrichtenagentur PTI zitiert einen Einheimischen mit den Worten: "Ausländische Touristen sind hier sehr willkommen, schließlich steigen damit auch unsere Einnahmen."
Tatsächlich hat die Zusammenkunft eine große wirtschaftliche Bedeutung. Die Einnahmen während des 46-tägigen Festes werden laut der Tageszeitung "Indian Express" von Regierung und Wirtschaft umgerechnet auf mehrere Milliarden Euro geschätzt. Damit schafft die Kumbh Mela auch Arbeitsplätze in der ganzen Region.