Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erläutert Bischof Meister, warum ein Friedensprozess trotzdem viele Jahre dauern wird und warum der Antisemitismus in Deutschland noch lange nicht gebannt ist.
epd: Herr Bischof Meister, die Waffenruhe in Gaza scheint zum Greifen nah. Ist das ein Zeichen der Hoffnung?
Ralf Meister: Ja, ganz eindeutig. Das wäre ein erster entscheidender Schritt, um anschließend nach konstruktiven und dauerhaften Lösungen für den Konflikt zu suchen. Bei meiner Reise im Dezember habe ich auf beiden Seiten Resignation und ungeheure Erschöpfung wahrgenommen, zumindest bei liberalen und säkularen Israelis, aber auch bei fast allen palästinensischen Gesprächspartnern. Die Sehnsucht nach Frieden ist groß. Der Weg dahin wird aber viele Jahre in Anspruch nehmen, weil der Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 und die kriegerische Reaktion Israels tiefe Wunden geschlagen haben. Viele Palästinenser haben sich während dieser Auseinandersetzung weiter radikalisiert. Die Übergriffe der nationalistischen Siedler im Westjordanland auf palästinensischen Bauern halten an. Davon haben mir Menschen vor Ort berichtet.
Wen haben Sie bei Ihrer Begegnungsreise im Dezember getroffen?
Meister: Ich habe zunächst mit Menschenrechtsaktivisten der "Rabbis for Human Rights" (RHR) gesprochen und bin mit ihnen in die besonders von Konflikten betroffene Region nordöstlich von Jerusalem gereist. Anton Goodman, ein liberaler Rabbiner, hat mir erzählt, dass immer wieder radikale Siedler Olivenbäume kappen, Tiere vergiften oder palästinensische Landwirte und ihre Familien direkt angreifen. Offenbar spüren die radikalen Siedler Rückenwind, seit die extremen Rechten in der Regierung Benjamin Netanjahus eine gewichtige Stimme haben. Wie mir berichtet wurde, verfolgt die Polizei nur etwa ein Prozent aller angezeigten Gewalttaten. Die Aktivisten von RHR versuchen, die Palästinenser zu beschützen und bei der Reparatur der Schäden zu helfen.
Auch mit palästinensischen Christen haben Sie gesprochen. Welche Rolle spielen die im Nahostkonflikt?
Meister: In dem großen Konflikt zwischen arabischer und jüdischer Bevölkerung, jüdischen und muslimischen Perspektiven werden christliche Gemeinden in Israel zerrieben. Tatsächlich ist es in den letzten Jahren vermehrt zu Übergriffen seitens orthodoxer Juden gegen christliche Repräsentanten gekommen. Darüber berichtete auch der Abt der Dormitio-Abtei in Jerusalem, der Benediktiner Nikodemus Schnabel. Politisch spielt die christliche Minderheit weder in Israel noch in den besetzten Gebieten eine Rolle. Dennoch sind Christen im Westjordanland von den Einschränkungen für die Palästinenser genauso betroffen wie Muslime. Das hat mir der Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land, Ibrahim Azar, erzählt. Er wirft Israel vor, eine Politik der Apartheid zu betreiben.
Schließen Sie sich dem an?
Meister: Dass Palästinenser sich im Alltag diskriminiert fühlen, verstehe ich gut. Da sind zum Beispiel die massiven Kontrollen der palästinensischen Bevölkerung durch die israelische Polizei, nicht nur an den Grenzübergängen, sondern auch in der Jerusalemer Altstadt. Sicherheitspolitisch mag das sinnvoll sein, dennoch wird es als entwürdigend empfunden. Mit Apartheid hat das aber nichts zu tun. Auch weil der Begriff aus einem spezifischen südafrikanischen Kontext kommt, würde ich ihn hier nicht verwenden. Das gleiche gilt für den Begriff "Genozid", der aus der Auseinandersetzung mit der Shoah stammt. Damit das israelische Vorgehen im Gazastreifen zu beschreiben, halte ich für absolut falsch.
Wo steht die israelische Gesellschaft beim Ringen um Frieden?
"Mit Sorge beobachte ich aber eine zunehmende religiöse und nationalistische Überhöhung des Staates bei orthodoxen und ultraorthodoxen Juden"
Meister: Nach einer aktuellen Umfrage, so hörte ich von einem israelischen Freund, unterstützen drei Viertel der Bevölkerung die geplante Vereinbarung über einen Waffenstillstand. Mit Sorge beobachte ich aber eine zunehmende religiöse und nationalistische Überhöhung des Staates bei orthodoxen und ultraorthodoxen Juden.
Dürfen wir hoffen, dass es durch eine Waffenruhe im Gazastreifen weniger antisemitische Vorfälle in Deutschland geben wird?
"Nutzen wir dafür das kleine Fenster, das der Waffenstillstand öffnet."
Meister: Nein, das glaube ich nicht. Wir müssen sogar noch wachsamer werden. Leider hat es die Hamas, die in ihrem Terror keinerlei Rücksicht auf ihre eigene Bevölkerung nahm, geschafft, dass Israels Kriegsführung zur Selbstverteidigung im Gaza das Ansehen des Staates weltweit beschädigte. Die Aufgabe bleibt, alle Formen von Antisemitismus zu bekämpfen - für den Staat, Parteien und die Zivilgesellschaft. Und wir müssen auch offen die gesellschaftlichen Felder benennen, in denen Antisemitismus in besonderer Weise kultiviert wird. Damit meine ich islamistische Migrantenkulturen, Teile der Linksintellektuellen und die nationalistische Rechte. Auch dürfen wir nicht aufhören, für den Frieden in Nahost zu beten. Nutzen wir dafür das kleine Fenster, das der Waffenstillstand öffnet.