Göttingen (epd). Der Göttinger Demokratieforscher Simon Franzmann hält es für irreführend, das in Deutschland geprägte Bild einer „Brandmauer“ zwischen Konservativen und Rechtspopulisten auf Österreich zu übertragen. „Koalitionen mit der FPÖ in Österreich gibt es auf Landesebene schon seit einem Vierteljahrhundert“, sagte der Professor im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Auf Bundesebene sei sie schon zweimal Juniorpartner der ÖVP gewesen. „Neu ist, dass die FPÖ jetzt eine Regierung auf nationaler Ebene anführen soll.“
Anfang der Woche hatte sich die konservative „Österreichische Volkspartei“ (ÖVP) zu Koalitionsverhandlungen mit der rechtspopulistischen „Freiheitlichen Partei Österreichs“ (FPÖ) bereiterklärt, die sie lange abgelehnt hatte. Zuvor hatte Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen den rechtsnationalen Politiker und FPÖ-Chef Herbert Kickl mit der Regierungsbildung beauftragt.
Mit der rechtspopulistischen AfD in Deutschland sei die FPÖ nur zum Teil vergleichbar, sagte Franzmann, Direktor des Instituts für Demokratieforschung an der Universität Göttingen. „Die FPÖ gilt in Stil und Thematik als Prototyp des westeuropäischen Rechtspopulismus.“ Die AfD und andere westeuropäische Parteien orientierten sich an ihr. Allerdings gehörten beide Parteien unterschiedlichen Fraktionen im Europäischen Parlament an. „Zudem ist die FPÖ eine vergleichsweise alte Partei mit zum Teil regierungserfahrenem Personal.“
Es liege im Wesen der parlamentarischen Demokratie, die stärkste Partei mit der Regierungsbildung zu beauftragen, erläuterte der Wissenschaftler. Die Entwicklung in Österreich könne dennoch als Tabubruch betrachtet werden, „weil die aktuelle FPÖ-Parteispitze anders als in der Vergangenheit deutliche Schnittmengen und Sympathien zu Rechtsextremen aufgezeigt hat“.
Er persönlich habe das Bild von der „Brandmauer“ nie für eine glückliche Metapher gehalten, sagte Franzmann: „In der repräsentativen Demokratie sollten Mauern weniger eine Rolle spielen als eine harte thematische Auseinandersetzung.“ Eines an diesem Bild sei allerdings richtig: „Wer die demokratischen Spielregeln nicht mitspielen will, mit dem kann und sollte man keine Regierung bilden.“
Themen des Lebensstandards und der Lebenshaltungskosten werden aus seiner Sicht in Zukunft entscheidend dafür sein, ob rechtspopulistische Kräfte weiter Zulauf erhalten. Das treibe viele Menschen um. „Weiterhin gilt es, ein Gefühl von Sicherheit vor Kriminalität zu vermitteln und die Migrationsdynamik kontrollierbar zu gestalten“, sagte der Wissenschaftler. „Die Zuwanderung von Arbeitskräften ist weniger das Problem als das Gefühl, dass die Zuwanderung unkontrolliert erfolgt.“