Weniger bekannt ist eine Vorschrift, die die Kriminaltechnik betrifft: In der Regel werden DNS-Proben etwa vom Tatort eines Mordes genutzt, um nach Übereinstimmungen mit früheren Fällen zu suchen oder um zu überprüfen, ob die Spuren mit dem "genetischen Fingerabdruck" von Verdächtigen identisch sind. Die Proben enthalten zudem Hinweise auf das Alter sowie auf die Haut-, Augen- und Haarfarbe eines Menschen. Diese Informationen durften aufgrund der Strafprozessordnung lange nicht verwendet werden. Das hat der Bundestag 2019 geändert. Nach wie vor gibt es aber Details, die tabu sind, und davon handelt Tobias Kniebes Drehbuch zu "Jenseits des Rechts".
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Der fesselnde "Polizeiruf"-Krimi ist der dritte Fall für die Münchener Hauptkommissarin Cris Blohm (Johanna Wokalek). In der Zwickmühle befindet sich zunächst jedoch eine Kollegin (Jule Gartzke): Dank der Hautpartikel unter dem Fingernagel eines Opfers kann die Kriminaltechnikerin unzweifelhafte Rückschlüsse auf die Identität des Mörders ziehen, aber dieses Wissen darf sie nicht weitergeben. Im Grunde verhält es sich ähnlich wie beim Beichtgeheimnis: Sie weiß, wer’s war, muss jedoch schweigen; zumindest offiziell. Da sie mit Cris befreundet ist, weiht sie die Kommissarin inoffiziell ein. Käme das raus, würden beide ihren Job verlieren.
Auf dünnes Eis begibt sich auch der Film, denn das Opfer, der junge Lucky, hat gemeinsam mit seiner Freundin Amateurpornos gedreht, die dank der Verwertung auf einer einschlägigen Website erstaunlich viel Geld eingebracht haben. Zwar zeigt Dominik Graf nur ansatzweise, was die beiden da treiben, sonst dürfte die ARD den Krimi nicht um 20.15 Uhr ausstrahlen, aber schmal ist der Grat trotzdem. Die kurzen Blicke auf die Website lassen keinen Zweifel daran, wes Geistes Kind die Männer sind, die sich an den Clips ergötzen: Die plakativen Inhaltsangaben reduzieren die Frauen zu reinen Sexobjekten. Die entsprechenden Fotos sind nur kurz zu sehen, aber der vielfache Grimme-Preisträger reizt die Jugendschutzvorgaben bis an die Grenze aus. Der BR versichert, der Film sei in Abstimmung mit den Jugendschutzbeauftragten des Senders entstanden.
Aus Sicht von Buch und Regie ist die pornografische Ebene jedoch bloß Beiwerk, denn neben den juristischen Details geht es vor allem um eine Vater/Tochter-Beziehung: Mia (Emma Preisendanz), die Freundin des Opfers, ist ein wohlstandsverwahrlostes Mädchen aus gutem Hause. Ihrem verwitweten Vater, Ralph Horschalek (Martin Rapold), gehört die Firma Munich Gold AG, die Milliarden verwaltet und in ihrem Keller die Reichtümer der Münchner Millionäre hortet.
Für seine Töchter hat der Mann kaum Zeit, aber die muss er sich nun nehmen. Sein Unternehmen ist ohnehin ins Zwielicht geraten, weil er Geschäfte mit einem weltweit geächteten Waffenhändler macht. Wenn öffentlich wird, dass Mia eine Art Pornostar ist, würde dieser Skandal den Ruf endgültig ruinieren. Horschalek hätte somit selbstredend ein handfestes Motiv. Juristisch handelt es sich bei Luckys Ableben allerdings nicht um Mord, sondern um Körperverletzung mit Todesfolge. Der Täter hatte keine Tötungsabsicht, es ging ihm offenkundig nur um die Videoaufnahmen: Sämtliches technisches Zubehör, also Kameras, Computer und Festplatten, sind verschwunden.
Eine weitere Schlüsselfigur des Films ist der Psychiater Martin Weibel (Michael Roll). Er betreut Mia, seit sie als Vierzehnjährige unter Essstörungen litt. Die Therapiegespräche ziehen sich wie ein roter Faden durch den Film. Im Prolog erzählt Mia, wie frei sie sich dank Lucky (Florian Geißelmann) fühle. Später wird sie ergänzen, dass ihr erst durch den Freund ihre "Sehnsucht, die Kontrolle zu verlieren" bewusst geworden sei. Weibel wiederum sorgt sich, weil sie seiner Ansicht nach allzu sehr von Dunkelheit und Schmerz fasziniert ist. Dem düsteren Thema zum Trotz ist "Jenseits des Rechts" dennoch mehrfach unerwartet witzig. Im letzten Akt konzentrieren sich Kniebe und Graf, die bereits früher bei einem nicht minder sehenswerten Münchner "Polizeiruf" zusammengearbeitet haben ("Bis Mitternacht", 2021), ganz auf Blohm, die sich während einer Teenager-Party im großzügigen Anwesen der Horschaleks versteckt hat, um den Hausherrn zu überführen; und dann verblüfft der Film mit einem echten Knüller.
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