evangelisch.de: Frau Koch-Pauka, die Zwölf Heiligen Nächte, die sie in der Kirche der Stille feiern, worum geht es da?
Laura Koch-Pauka: Die Zwölf Heiligen Nächte, das ist der Zeitraum zwischen Weihnachten und dem 6. Januar, dem Dreikönigstag. Eine andere Bezeichnung ist Raunächte, ein eher magisch gedeuteter Zeitraum mit Abwehr-Ritualen. Christlich gedeutet ist das eine Zeit des in sich Kehrens, des zur Ruhe Kommens, vielleicht auch Reflektierens über Vergangenes und das, was auf einen zukommt. Eine Zeit, in der man sehr bei sich sein kann im Idealfall.
Was steckt dahinter? Was gibt es für Traditionen oder Brauchtum?
Koch-Pauka: Es gibt zahlreiche Bräuche, die sich um diese Nächte ranken. Der Begriff Raunacht kommt ursprünglich aus der Tradition zu räuchern und die bösen Geister fernzuhalten. Nach altem Aberglauben sollte man keine Wäsche waschen und draußen aufhängen. Es heißt, wenn ein Wäschestück abhandenkommt, dass einer im Haus stirbt. Es gibt viele Deutungen, was passieren könnte in diesem Zeitraum und wie man das verhindern kann. Aber um dieses magische Denken geht’s in der Kirche der Stille nicht, da möchten wir an 12 Abenden die Zeit nutzen, um zu uns zu kommen und wirklich zu reflektieren. Das kann in die Magie eines Neuanfangs führen.
Klappen Sie da die Meditationsbänkchen auf oder bieten Meditationskissen an?
Koch-Pauka: (Lacht) Wir haben Kissen, wir haben Meditationsbänkchen, wir haben aber auch Stühle. Man kann auswählen. Wir beginnen um 18 Uhr. Und es gibt nicht nur Stille, es wird besondere Musik geben, live Obertonmusik mit besonderen Instrumenten. Und es gibt Gedankenanstöße, z.B. Gedichte von Hilde Domin oder Rilke, die dann in die Stille führen. Jeden Abend kann man so mit einem anderen Impuls sich beschäftigen und in die Selbstreflexion gehen. Das gemeinsame in die Stille gehen ist nicht einfach Schweigen, sondern man spürt eine innere Verbundenheit untereinander und mit etwas Höheren.
Wie lange dauern diese gemeinsamen Meditationen?
Koch-Pauka: Wir versuchen fünf-minütige stille Zeiten einzubauen. Teilweise kann es auch zehn Minuten werden. Es kommt aber darauf an, wie geübt die Leute sind.
Was wird thematisiert in den Zwölf Heiligen Nächten?
Koch-Pauka: Wir beleuchten verborgene Aspekte der Weihnachtsgeschichte, dieses märchenhafte Geschehen der Geburt Jesu. Bis zu dem Zeitpunkt, wo die die Heiligen Drei Könige dann im Stall ankommen. Eigentlich ist es eine Weggeschichte. Maria und Josef machen sich erst auf den Weg, kommen zum Stall und müssen nach der Geburt Jesu fliehen. Wir heute sind ja auch Suchende und auf dem Weg. Wonach wir suchen, wissen wir aber oft nicht. Da können die Abende in den Heiligen Nächten vielleicht auch mal hilfreich sein.
Worauf läuft es hinaus?
Koch-Pauka: Wenn man es schafft, sich auf diese Zeit als Besinnung einzulassen, dann entdeckt man vielleicht, was in der Welt auch ein bisschen nach Wunder schmeckt. Was ist da eigentlich dazwischen, zwischen all diesen irdischen, ganz klar materiell fassbaren Dingen? Was schwingt da eigentlich mit? Und diese Zwischentöne, das Übersehene, das kriegt da Raum und man kann in Resonanz gehen. Zum Beispiel könnte sich ein Gefühl von Frieden in der Seele breit machen. Oder man erkennt, dass man an manchen Stellen im Leben Entscheidungshilfen hatte, die nicht auf den ersten Blick erkennbar waren. Wer weiß schon, was sich in dieser wunderbaren Zeit so zeigen wird.
Sie lernen zu staunen oder vorbeizuschauen an dem, was den Blick in die Tiefe verstellt?
Koch-Pauka: Schon. Wenn man diesem Staunen mal Platz gibt, kann man entdecken, dass es eben Dinge gibt zwischen Himmel und Erde, die für uns nicht verfügbar sind oder nicht verfügbar scheinen. Das kann man sich anschauen. Der Heilige Abend mit der Erzählung dieser Geburtsgeschichte hat etwas Märchenhaftes und Berührendes. Deswegen wird es wahrscheinlich auch so oft aufgeführt im Krippenspiel und nie langweilig. Aber es wird auch gesungen. Und jeder Abend ist anders und hat seine eigene Magie. Die Zen-Übenden nennen diesen Blick übrigens Anfänger-Geist.
Singen Sie auch Mantren?
Koch-Pauka: Eine Mischung aus Mantra und Hallelujah. (lacht) Wir haben uns zusammengesetzt und ein Liederbuch erarbeitet für diese Heiligen Nächte. Die bunte Mischung enthält geliebte Weihnachtslieder genauso wie Taizè-Lieder oder mantraartige Lieder. Mantrisch heißt, dass man einen Satz immer wieder und wieder singt. Das wird dann zu einer Art von Meditation. Manchmal habe ich eine Liedzeile als Ohrwurm, die mir für einen Tag zum Mantra wird, vielleicht kennt das der Eine oder die andere auch.
Ein Beispiel?
Koch-Pauka: (lacht) Das Lied: Froh zu sein bedarf es wenig und wer froh ist, ist ein König!
Wird die Obertonmusik auch gesungen?
Koch-Pauka: Nein, die Künstlerin Kara Albert bringt eigene Obertoninstrumente mit. Zum Beispiel ein Monochord oder ein Horn mit eingebauten Löchern. Als ich die Instrumente das erste Mal sah, wusste ich gar nicht, was denen für Töne entlockt werden können. Und je länger gespielt wird, desto mehr entwickeln sich Obertöne, die mitschwingen und die man dann zu hören bekommt. Und normalerweise hört man die Obertöne nicht, hier aber werden sie hörbar gemacht. Das ist ein spannender Effekt. Und es macht auch was mit einem, wenn man solcher Musik lauscht. Die spielt sich tief in die Seele hinein.
Was heißt Stille für Sie?
Koch-Pauka: Stille heißt nicht zwingend Schweigen. Sondern Stille heißt, dass man wirklich zu sich kommt und verschiedene Wege sucht, um mit der eigenen Seele in Kontakt zu treten.
Stille heißt zu sich kommen
Und das kann tatsächlich im Tanzen sein, das kann im Singen sein, es kann im Hören von Musik sein oder im Sitzen, in der Stille oder eben im Bedenken von Impulsen. Da gibt es ganz verschiedene Zugänge.
Was ist an diesem in die Stille gehen evangelisch? Wo doch sonst immer auf Predigt gesetzt wird?
Koch-Pauka: Wir haben diese wirklich verborgenen Perlen in unserer Tradition. Schon Jesus zog sich zum Gebet zurück. Ich erlebe es so, dass viele Menschen so einen Rückzugsort suchen, einen geistlichen Anker. Die Angebote in der Kirche der Stille zielen alle darauf in Kontakt zu treten mit so etwas wie der Gegenwart Gottes, die aber nicht verfügbar ist. Und mit dem göttlichen Funken, der in uns selbst ist, im Alltag aber wenig zu Wort kommt. Ich sehe es an allen Ecken und Enden, wie bedürftig eigentlich viele Menschen sind, die einen spirituellen Anker suchen. Und ich erlebe es, wenn Leute auf Stadtteilfesten in Hamburg-Altona auf uns stoßen, dass die dann richtig aufatmen und sagen, das ist so ein schöner Ort mit meditativen christlichen Angeboten. Man kann gleich loslegen nach einer Einführung und auf alten christlichen Spuren etwa die Spiritualität der Wüstenväter und Mütter entdecken oder auch Bewegungsmeditationen. Ich würde behaupten, dass für jeden und jede etwas dabei ist, was einen Zugang zum Innersten und zu Gott bereiten kann.
Die zwölf Heiligen Nächte werden in der Hamburger Kirche der Stille vom 26. Dezember – 6. Januar ausrichtet, jeweils 18.00 – 18.45 Uhr
Auch die Kirche der Stille in Hannover feiert einige Tage aus den zwölf Heiligen Nächte sowie viele andere evangelische Kirchengemeinden auch.