Family-Influencing braucht Gesetze

Eine Frau filmt ein tanzendes Mädchen
doble-d/iStockphoto/Getty Images
Auf den veröffentlichten Kinderfotos und Kindervideos auf Social Media-Plattformen sehen Kinder glücklich aus, doch das spiegelt oft nicht die Realität.
Kinderschutz im Netz
Family-Influencing braucht Gesetze
Influencer:innen machen ein Geschäft daraus, Bilder vom Nachwuchs in ihren Social Media-Kanälen zu teilen. Ein neues Rechtsgutachten zeigt jetzt, dass beim ungehemmten Teilen von so genanntem Family-Content der Tatbestand der Kindeswohlgefährdung erfüllt sein kann. Das Gutachten macht die massiven gesetzlichen Lücken deutlich und fordert: Keine Veröffentlichung vor dem siebten Lebensjahr. Die Pastorin und Influencerin Ellen Radke betreibt mit ihrer Frau Steffi den Blog "Anders Amen", der von dem evangelischen Content-Netzwerk "Yeet" produziert wird. Wir haben sie gefragt, was sie über das neue Gutachten denkt.

evangelisch.de: Ellen, Du bist selbst Mutter von zwei Kindern. Zeigst Du Bilder Deiner Kinder auf Instagram?

Ellen Radke: Nein, meine Kinder erscheinen nicht online oder zumindest nicht als Person. Wir zeigen ihre Gesichter nicht, wir erzählen keine Geschichten aus ihrem Leben. Aber sie tauchen auf, denn sie sind der wichtigste Teil unseres Lebens und damit nicht komplett lösbar von uns. Mal sieht man, dass wir sie in der Trage auf dem Rücken haben, oder man sieht sie von hinten in einem Video, weil wir als Familie gerade einen Ausflug machen. Aber unser Inhalt soll sich nicht um sie oder ihre Persönlichkeiten drehen. Manchmal ist das ein Balance-Akt, wenn es beispielsweise um familienpolitische Themen geht, aber bisher fühlt es sich für uns richtig an.

Sehr viele Influencer:innen, die mit ihrem Account Geld verdienen, zeigen ihre Kinder. 

Radke: Kinder-Content klickt sich einfach mega gut. Das spricht unsere tiefen Gefühle an, ruft die Erinnerung daran wach, dass wir selber einfach geliebt werden wollen und verkauft sich deshalb großartig. Außerdem waren wir alle mal Kinder und können deshalb innerlich mitlachen, wenn dieses Kind auf der Schaukel sich gerade richtig dolle freut. Aber man muss deutlich sagen, dass viele dieser kommerziellen Accounts nicht einfach ihre Kinder zeigen, sondern ihre Kinder zum Content machen. Das Kind ist das, womit das Geld verdient wird, während den Leuten, die diesen Kanälen das ganze eher wie ein erweitertes Familienfotobuch präsentiert wird.

Warum störst Du Dich daran?

Radke: Kinder haben Rechte. Sie haben auch ein Recht auf Privatsphäre. Wenn ich sehe, wie Kinder beim Küssen ihrer Geschwister oder beim tränenreichen Fahrradsturz gezeigt werden, dann vergeht mir mein o-wie-niedlich-Grinsen mittlerweile. Das ist privat und sollte privat bleiben. Diese Fotos können nie wieder zurück genommen werden, die Kindheit steht der gesamten Welt zur Verfügung und eine Privatsphäre besitzt das Kind nicht mehr. Das kann auch ausgenutzt werden, denn die Sicherheit der Kinder steht auf dem Spiel, wenn alle Menschen wissen, wo das Kind wohnt, wo es nachmittags spielt, wo es in den Kindergarten geht, und in welchem Schwimmbad es samstags sein Seepferdchen macht. Das Kind selber kann dabei noch überhaupt nicht mitreden und die Ausmaße des Online-Auftrittes auch gar nicht verstehen. Und es geht nicht nur darum, dass Bilder von Kindern sehr einfach in pädophile Kreise gelangen können. Es geht auch um späteren Spott in der Schule oder das Gefühl, ständig einer Rolle gerecht werden zu müssen.

Die Pastorin und Influencerin Ellen Radtke (Archivbild).

Du bist selbst auch Influencerin. Hast Du Kenntnis, ob die Gesetzeslage dazu ausreicht?

Radke: Nein, die Gesetzeslage reicht nicht aus. Es gibt keine passenden Gesetze für das Family-Influencing, da dieser Arbeitsbereich bei Erstellung der bisherigen Kinderschutzgesetze noch nicht im Blick war. Zum Beispiel ist Kinderarbeit in Deutschland gesetzlich geregelt. So brauchen Kinder, die vor der Kamera stehen, eigentlich eine Arbeitserlaubnis, mit der sie dann an 30 Tagen im Jahr arbeiten dürfen, und dann pro Tag nur drei Stunden. Zudem braucht es dafür ärztliche Bescheinigungen, eventuell auch Absprachen mit dem Jugendamt und gegebenenfalls auch den Austausch mit der Schule. Im Schauspiel oder für andere Bühnentätigkeiten wird das natürlich getan. Doch die wenigsten Eltern halten sich beim Influencing daran und werden auch von keiner Stelle danach gefragt.

Und der Schutz ist sogar noch wichtiger, wenn man sich den kommerziellen Druck anschaut, den die Kinder ja durchaus auch mitbekommen. Vollkommen zurecht wurden Familien-Vlogs schon als emotionaler Missbrauch bezeichnet, denn natürlich behaupten alle Eltern, dass die Motivation für die Arbeit von den Kindern selber kommt, und natürlich sagen viele Kinder das auch immer wieder in Videos. Aber dazu muss der Mensch denken, der sich dieses Video anschaut, dass die Eltern hinter der Kamera gerade auch die Arbeitgeber:innen des Kindes sind. Die emotionale Zwicklage, in die das viele Kinder bringt, ist rechtlich noch überhaupt nicht erfasst. Denn je älter die Kinder werden, desto eher spüren sie ja auch, dass sie für das Einkommen der Familie (mit)verantwortlich sind. Stell dir nur vor, du hättest diese Last mit sechs oder sieben Jahren schon tragen müssen.

Hier geht es auf die Erklärung des Deutschen Kinderhilfswerks und das Gutachten.