"Vermisse das Weihnachtssingen in Rom"

Schatzmeistern Gertrud Wiedmer.
Alexandra Barone
Für Gertrud Wiedmer von der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde in Rom ist die Vorweihnachtszeit die schönste Zeit im Jahr.
Erhellend. Unterwegs im Advent
"Vermisse das Weihnachtssingen in Rom"
Obwohl Geschäfte in Italien bereits im November vorweihnachtlich leuchten, findet man in italienischen Haushalten selten einen Adventskranz. evangelisch.de-Redakteurin Alexandra Barone hat Gemeindevorständin Gertrud Wiedmar von der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde in Rom besucht, die jedes Jahr einen Adventsbasar organisiert, der vor allem bei den katholischen Römern beliebt ist.

Wer sich einen Weihnachtsmarkt wie in Nürnberg verspricht, ist sicherlich enttäuscht vom überschaubaren Event auf der Piazza Navona in Rom, der mit seinen wenigen Besuchern ein wenig trist wirkt. Umso größer ist die Überraschung, wenn man am Samstag vor dem 1. Advent zufällig im Zentrum Roms, an der Via Sicilia - unweit des großen Stadtparks Villa Borghese - vorbeispaziert: Über 1.000 Menschen drängeln sich im kleinen Garten der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde in Rom.

Der alljährlich stattfindende Adventsbasar ist nicht nur bei Protestanten beliebt, vor allem die mehrheitlich katholischen Italiener haben den Tag mit dem Rotstift in ihrem Terminkalender gekennzeichnet. Ein Grund dafür ist sicherlich, weil es im Garten der Christuskirche selbstgemachten Kartoffelsalat, bayerisches Bier und Bockwürstchen gibt. Oder liegt es eher daran, weil es im Gemeindesaal selbstgemachten Kuchen und Glühwein gibt? Oder locken die selbstgemachten Plätzchen die Römer an? "Viele Italiener kommen vorbei, weil sie einen Adventskranz kaufen wollen, daher muss der Adventsbasar auch vor dem 1. Advent stattfinden", erklärt Gertrud Wiedmer. 

Über 220 handgebundene Adventskränze wurden auf dem Adventsbasar verkauft.

Die 75-Jährige stammt ursprünglich aus dem Berner Oberland in der Schweiz, hat aber aufgrund ihres Berufs unter anderem in Chicago, New York, Mailand, Mexiko City und Buenos Aires gelebt. In Italien fühlt sich Gertrud Wiedmer aber besonders wohl. Hier in Rom lebt sie nunmehr seit 40 Jahren, in der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde ist sie seit über 30 Jahren als Ehrenamtliche tätig und organisiert neben vielen sozialen Projekten auch das Frauentreffen und den Adventsbasar mit – und das schon seit Jahrzehnten.

"Den Adventsbasar gab es schon vor meiner Zeit hier in Rom und ist seit jeher beliebt bei den Römern", erklärt Gertrud Wiedmer. Das könnte natürlich auch daran liegen, dass die Adventszeit in Italien so gut wie nicht existiert. Denn bis in die späten 1930er Jahre hinein wurde gar nicht das Weihnachtsfest am 24. Dezember gefeiert, sondern das Epiphaniasfest, an dem die Befana (dt. Hexe) die Geschenke bringt. "Wenn man allerdings die italienischen Kinder heute fragt, von wem sie ihre Geschenke bekommen, antworten sie: Von Santa Claus!", erklärt die gebürtige Schweizerin. 

Die Traditionen gehen langsam aber sicher auch in Italien verloren, weiß Gertrud Wiedmer und denkt an ihre Kindheit im Berner Oberland. "Was ich hier in Rom am meisten vermisse ist das weihnachtliche Singen." Gerade während der vorweihnachtlichen Adventszeit versammelten sich die Menschen in den Dörfern um den Weihnachtsbaum zum spontanen gemeinsamen Singen, weiß Wiedmer zu berichten. Hier in Rom singt man weniger, auch im Gottesdienst. Umso beliebter ist auch bei den katholischen Römern der Sonntagsgottesdienst in der Christuskirche der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde.

Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Rom hat bereits den Herrnhuter Stern am Eingang aufgehängt.

Als lutherische Minderheitskirche in einem größtenteils katholischen Umfeld und in unmittelbarer Nähe zum Vatikan stellt das ökumenische Engagement für die römische Gemeinde eine besondere Herausforderung und zugleich eine große Chance dar. Für die Mitglieder der Gemeinde und Ehrenamtliche wie Gertrud Wiedmer ist es eine Herzensangelegenheit. Viele von ihnen sind mit einem katholischen Ehepartner verheiratet, Freunde und Kollegen wissen oft wenig über die lutherische Tradition. 

Eine der Traditionen ist der Adventskranz in der Kirche und natürlich der Christbaum. "Heute kam unser Gärtner und hat den Weihnachtsbaum aufgestellt", erklärt Gertrud Wiedmer. Geschmückt werde er allerdings nicht – wie in Italien üblich - am 8. Dezember, sondern erst am 24. Dezember. An dieser Tradition hält die gebürtige Schweizerin eisern fest, denn es sei wichtig, das Eigene zu kennen und dies immer wieder zu vermitteln.

Christuskirche mit Adventskranz und Christbaum, der traditionell erst am 24 geschmückt wird.

So ist es für sie auch selbstverständlich, den Enkeln die Liebe zum Singen näherzubringen. "In der Schule wird kaum Wert gelegt auf den musikalischen Unterricht, aber das Interesse ist da", erklärt Gertrud Wiedmer. Sie kommt der Aufforderung ihrer Enkelkinder, Weihnachtslieder mit ihnen zu singen, immer gerne nach.

Für die Schweizerin ist und bleibt die Vorweihnachtszeit die schönste Zeit im Jahr und denkt verträumt an ihre Kindheit. In ihrem Heimatland wurden auch Krippen in den Kirchen aufgebaut. Eine Tradition, die sie auch hier in Italien wiedergefunden hat. In der Toskana, wo sie mit ihrer Familie immer an den Wochenenden war, gab es in einem kleinen Dorf bei Monte Amiata immer ein "presepe vivente": Laienschauspieler stellen dann die Geburt Jesu im historischen Zentrum von Castel del Piano nach.