epd: Warum sind Geschichten wie die von Rudolph mit dem Nasenlicht mit ihrem verborgenen christlichen Kern so beliebt?
Matthias Morgenroth: Weihnachten ist Geschichten-Zeit, eine Zeit für Sinn-Geschichten. Das ist mindestens seit dem 19. Jahrhundert so. Diese Geschichten umspielen traditionell die großen Themen des Lebens: Liebe, Frieden, Sinn. Meist sind die Figuren mit besonderen Gaben ausgestattet oder kommen aus der Märchenwelt oder aus der Symbolwelt des Göttlichen. Das ist bis heute so, und ich denke, sie sind deshalb so beliebt, weil sie einen Sinn fürs Übersinnliche wachhalten.
Warum gibt es immer neue weihnachtliche Figuren?
Morgenroth: Die Figuren, die sich im Lauf der letzten Jahrzehnte ja auch immer verändert haben, werden unverfänglicher. Also Schneemann statt Engel, Wichtel statt Nikolaus oder Weihnachtsmann. Damit sind sie nicht mehr einer bestimmten religiösen Tradition zugeordnet. Muslime etwa können da leichter mitgehen. Nichtreligiöse Menschen auch. Insofern säkularisiert sich das vorweihnachtliche Personal. Aber die Figuren sind auf diese spielerische Weise immer noch eine Erinnerung daran, dass es auf der Welt nicht nur das gibt, was man anfassen kann.
Konkurrieren diese Charaktere mit der biblischen Weihnachtsgeschichte von der Geburt Jesu Christi?
Morgenroth: Das würde ich nicht als Konkurrenz zu kirchlichen Angeboten sehen, eher als Herzöffner auf dem Weg dorthin. Und auch die biblische Geschichte von der Geburt in Bethlehem ist eine Symbolgeschichte.
Matthias Morgenroth: Weihnachts-Christentum. Moderner Religiosität auf der Spur. Gütersloher Verlagshaus 2002.