TV-Tipp: "Theresa Wolff: Lost"

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23. November, ZDF, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Theresa Wolff: Lost"
Der Todesfall rückt im fünften Krimi mit Nina Gummich als eigenwillige Jenaer Rechtsmedizinerin zunächst jedoch erst mal in den Hintergrund, denn Theresa Wolff gerät selbst in Lebensgefahr.

"Lost Places" ist ähnlich wie "Public Viewing" eine dieser deutschen Wortschöpfungen, die zu schön sind, um wahr zu sein. Das englische Pendant zu "Lost Places" heißt "off the map". Beide Begriffe beschreiben Bauwerke, die in Vergessenheit geraten und daher "von der Landkarte verschwunden" sind. An diesen verlorenen Orten finden sich gern verlorene Seelen ein, Menschen wie Emilia, die daran scheitern, ein richtiges Leben im falschen zu führen. Nun ist die Siebzehnjährige tot. Über ihr Gesicht ist eine Plastiktüte gestülpt. Es gibt keine Spuren von Gewaltanwendung; und doch ist Emilia in gewisser Weise ermordet worden.

Der Todesfall rückt im fünften Krimi mit Nina Gummich als eigenwillige Jenaer Rechtsmedizinerin zunächst jedoch erst mal in den Hintergrund, denn Theresa Wolff gerät selbst in Lebensgefahr. "Lost" beginnt mit einem reizvollen doppelten Prolog: Zu den Klängen eines T.Rex-Klassikers fliegt die Kamera auf ein Anwesen zu, das sich als seit langer Zeit leerstehende Klinik entpuppt (Drehort war die ehemalige Sophienheilstätte in Bad Berka). Ein Mann trägt einen offenbar leblosen weiblichen Körper in das düster gefilmte Gemäuer. Zur gleichen Zeit liegt Wolff auf einem Obduktionstisch. Die vermeintliche Sektion entpuppt sich als Teil eines Seminars, das durch den Fund der Leiche Emilias abrupt unterbrochen wird.

Auf dem Weg zu de düsteren Gemäuer setzt die Medizinerin ihre Ausführungen kurzerhand per Smartphone fort. Sie empfiehlt ihrem Publikum, alle Gefühle auszublenden, und prophezeit, dass Hauptkommissar Lewandowski (Aurel Manthei) schlechte Laune haben wird, weil sein Verein verloren hat. Mit der selbstredend korrekten Prognose endet nicht nur der Livestream, sondern auch der heitere Teil: Kaum sind die sterblichen Überreste Emilias im Institut für Rechtsmedizin angekommen, stürmt ein bewaffneter Mann in den Sektionsraum; und damit wird "Lost" zum Thriller.

Latif Lahani (Rojan Juan Barani) weiß vermutlich selbst nicht so genau, was er eigentlich will, macht eins jedoch unmissverständlich klar: Emilias Körper soll nicht aufgeschnitten werden. Seine Gefühle wechseln innerhalb kürzester Zeit von Panik zu Trauer, von Zorn zu Verzweiflung. Für das umgehend angerückte SEK, dessen Chefin (Hannah Ehrlichmann) sowie die Einsatzleiterin Nikola Meyer (Katrin Hansmeier) ist Latif eine tickende Zeitbombe, aber Wolff sieht vor allem einen zutiefst verletzten Menschen. Sie wird ihn unter Einsatz ihres eigenen Lebens gleich mehrfach davor bewahren, erschossen zu werden.

Das hat auch einen ganz praktischen Grund: Die Rechtsmedizinerin ahnt, dass der Marokkaner den Schlüssel zur Lösung des tödlichen Rätsels kennt; womöglich sogar, ohne es selbst zu ahnen. So beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, und das unter äußerst widrigen Umständen und höchstem Druck: Während Wolff den Leichnam quasi mit einer Pistole am Kopf untersucht, bereitet sich das SEK darauf vor, das Institut zu stürmen. Zu allem Überfluss blutet Wolffs Kollege Zeidler (Peter Schneider) vor sich hin, weil sich bei dem Versuch, Latif zu entwaffnen, ein Schuss gelöst hat. Dass sich schließlich auch noch der übereifrige Praktikant (Anton Giuseppe Arnold) auf den Eindringling stürzt, um die verehrte Chefin zu retten, macht die Dinge nicht leichter. 

Hansjörg Thurn hat das Drehbuch wie bei den drei letzten Episoden gemeinsam mit Carl-Christian Demke geschrieben, diesmal aber wie schon bei "Dreck!" (2024) auch Regie geführt. Nicht zuletzt dank der Musik (Johannes Kobilke) hält "Lost" ein durchgehend hohes Spannungsniveau, obwohl sich die Handlung über weite Strecken nur im Sektionsraum abspielt. Zwischendurch schaut der Film immer wieder mal im Wagen der Einsatzleitung vorbei, wo sich Meyer und Lewandowski ein kleines Kompetenzgerangel liefern, weil der Kripobeamte hier eigentlich nichts zu suchen hat und außerdem ahnt, dass Wolff den Mann mit der Waffe provozieren wird, aber letztlich ist "Lost", der drittletzte Auftritt der seit 2021 von Nina Gummich unverwechselbar verkörperten Rechtsmedizinerin, ein Psychoduell.

Dabei spielt auch die Bildgestaltung (Uwe Schäfer) eine erhebliche Rolle. Als der vermeintliche Amokläufer in das Institut eindringt, ist das Licht diffus; seine knallrote Kapuzenjacke bildet einen kräftigen Kontrast zu dem in Grün gehaltenen Sektionsraum. Später, als Wolff ihn endlich überzeugt hat, sie gewähren zu lassen, wird die Atmosphäre deutlich wärmer. Die Leiche erstrahlt nun in einem geradezu verklärenden Licht, das sie wie eine Märtyrerin erscheinen lässt, was der Realität durchaus nahekommt: Der Thriller ist in Wahrheit eine Tragödie.