Drittstaatenlösungen ja oder nein?

Asylheim mit Stockbetten
Christiane Oelrich/dpa/evangelisch.de (M)
Asylverfahren außerhalb des eigenen Landes abwickeln? Ethikprofessor Alexander Maßmann hat sich das Thema einmal genauer angeschaut.
Flüchtlingspolitik
Drittstaatenlösungen ja oder nein?
Italien hat gerade Zentren für Geflohene in Albanien eröffnet. Das ist der neueste Versuch einer Drittstaatenlösung, mit der man Asylverfahren außerhalb des eigenen Landes abwickeln will, zumindest teilweise. In Deutschland spricht sich die CDU für dieses Vorgehen aus. Was ist davon zu halten?

In seinem Präsidentschaftswahlkampf war Donald Trump das Thema Migration und Geflüchtete nach eigener Aussage noch wichtiger als die Wirtschaft. In Europa gibt es unterdessen eine neue Initiative in der Flüchtlingspolitik: Italien hat gerade Zentren in Albanien eröffnet, in denen Italien Asylverfahren durchführen will. Solche Drittstaatenlösungen sind eine neue, vielbeachtete Entwicklung. Wenn die italienische Küstenwache Flüchtlinge bei deren Überfahrt nach Italien aufgreift, wollen sie die Männer in diese Zentren bringen.

Ihre Asylverfahren sollen nach italienischem Recht, aber auf albanischem Boden stattfinden. Allerdings haben italienische Gerichte Widerspruch eingelegt. Großbritannien verfolgte ähnliche Pläne im Asylrecht, bevor es dort zum Regierungswechsel kam. Asylbewerber sollten nach Ruanda ausgeflogen werden, wo sie dann eine Niederlassungserlaubnis erhalten hätten. Zu den Kritikern des Plans zählte auch der Erzbischof von Canterbury, das Oberhaupt der Kirche von England. 

In Deutschland wirbt die CDU in ihrem Wahlprogramm für ein vergleichbares Drittstaatenmodell. Auf europäischer Ebene hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihr Interesse an dem italienischen Modell bekundet. Was ist davon zu halten?

Das britische Ruandaprojekt

Das Ruandaprojekt der früheren britischen Regierung sah vor, dass Asylbewerber nach Afrika gebracht würden. In wesentlichen Dingen würde Ruanda sie den eigenen Staatsbürgern gleichstellen, ohne Prüfung der Fluchtgründe. Befürworter stellen das als einen Zugewinn an Sicherheit und Rechten für die Geflüchteten dar. Eine Rückkehr ins Vereinigte Königreich wäre für sie aber ausgeschlossen. Vielleicht haben Flüchtlinge Verwandte, die sich bereits legal in Großbritannien aufhalten. Das Asylgesuch in Großbritannien unbesehen und pauschal abzulehnen, wäre sehr problematisch. Es fragt sich sogar, was von der Möglichkeit des Asyls in Großbritannien noch übrigbliebe.

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Was ist der Sinn der italienischen Flüchtlingszentren in Albanien?

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Vor Gericht war der Ruandaplan zunächst daran gescheitert, dass Ruanda kein sicherer Drittstaat ist. Großbritannien gewährt Flüchtlingen aus Ruanda sogar Asyl. Außerdem ist der Plan teuer: Großbritannien würde Ruanda einmalig 585 Millionen Euro zahlen und dann fast 24.000 pro Flüchtling. Schon ökonomisch betrachtet wäre diese Summe besser angelegt, wenn man Asylanträge gewissenhaft prüft und in die Integration von Geflohenen im Vereinigten Königreich investiert.

Gegen die Deportation nach Ruanda

Außerdem sind in Großbritannien 154 Kinder, die seit 2021 Asyl suchten, verschwunden, trotz Betreuung durch die Behörden. Sind sie in die Hände von Menschenhändlern gefallen? Wenn das schon in Großbritannien passiert, welche Gefahren erwarten Asylsuchende dann auf einer strapaziösen Reise in ein unbekanntes, fernes Land?

Außerdem brachte es viele Bürger:innen gegen das Ruandaprojekt auf, dass nicht nur Neuankömmlinge nach Ruanda deportiert werden sollten, sondern auch Asylbewerber, die seit 2022 im Land sind. Prompt sind viele Asylbewerber aus dem Vereinigten Königreich nach Irland geflohen. Sie sollten praktisch unabhängig von ihrer Situation deportiert werden. Das war für viele eine zu drastische Aufkündigung der elementaren mitmenschlichen Solidarität. Zurecht hat Erzbischof Justin Welby kritisiert, das Projekt delegiere moralische Verantwortung an Subunternehmer. 

Im Unterschied zum Ruandaplan sieht das Wahlprogramm der CDU zwar eine Prüfung der Asylgesuche im Drittstaat vor. Doch es lässt offen: Sollen Neuankömmlinge erst ab einem zukünftigen Stichtag in einen Drittstaat überführt werden, oder gilt das unbesehen für die vielen, die schon länger in Deutschland leben?

Das italienische Albanienprojekt

In Italien wiederum verfolgt Giorgia Meloni ihr Albanienprojekt: Flüchtlinge sollen ihr Asylverfahren in Albanien durchlaufen, nach italienischem Recht. Es sollten nur gesunde Männer aus sicheren Staaten nach Albanien gebracht werden, bevor sie italienischen Boden betreten. Würde ihnen Asyl gewährt, würden sie nach Italien gebracht. Bei einem gescheiterten Asylgesuch wären die Flüchtlinge dagegen vom albanischen Abschiebelager aus in ihre Heimat geschickt worden. Inzwischen haben die Gerichte das Projekt jedoch gestoppt, weil man sich nicht darauf einigen kann, welche Staaten als sicher gelten können. 

Anscheinend hat die Regierung Meloni darauf spekuliert, den Kreis der Betroffenen von gesunden Männern aus sicheren Staaten allmählich auszuweiten. Ansonsten hätte sie kaum 800 Millionen Euro in die neuen Zentren investiert. Dennoch ist nicht klar, worin das Ziel des Unternehmens besteht. Laut dem Juristen Daniel Thym, einem deutschen Befürworter von Drittstaatenstrategien, sei Abschreckung das Ziel: Flüchtlinge, die vermeintlich bloß aus wirtschaftlichen Motiven kommen, würden resoluter abgeschoben. Andererseits bemängelt er, dass die albanischen Zentren zu klein sind, um abzuschrecken: An Italiens Küsten kommen zwischen 50.000 und 150.000 Menschen an, während die neuen Zentren keine 40.000 Menschen beherbergen können.

Es bleiben offene Fragen

Das Motiv, vermeintliche Wirtschaftsflüchtlinge abzuschrecken, erklärt die Albanienstrategie nicht. Der britische Ruandaplan hätte abschrecken können, weil er die Abschaffung jeglichen Asyls in GB bedeuten konnte und die drastische Entwurzelung vorsah. Im italienischen Szenario dagegen bleibt ein Antrag auf Asyl in Italien vorgeblich möglich. Welchen Unterschied macht es dann, wo sich die Flüchtlinge zwischendurch aufhalten und wo der Antrag bearbeitet wird? Resolut abschieben kann Meloni ja auch aus Italien! Sie hätte 800 Millionen stattdessen in Polizei und Küstenwache investieren können. Falls sie aber nicht rigoros aus Italien abschieben kann, dann auch nicht aus Albanien. In der Tat nimmt Thym irrtümlich an, es befinde sich gar kein italienisches Abschiebelager in Albanien. Weshalb sollte die Abschiebung aus einem albanischen Lager deutlicher abschrecken als eine Abschiebung aus einem italienischen Lager? Wozu also Albanien, wozu 800 Millionen Euro? 

Aus den Augen, aus dem Sinn

Für die postfaschistische Regierung dürfte zunächst die Hoffnung leitend gewesen sein, dass die Flüchtlinge italienischen Boden gar nicht erst betreten. Dass man dennoch dem humanitären Recht Genüge leisten muss, verkompliziert das Unternehmen. Dennoch könnte sich Italien die Flüchtlinge mit dem Albanienprojekt vom Leib halten. Angesichts von drei erheblichen Schwierigkeiten kann Italien nämlich mit den albanischen Zentren anders agieren als mit Zentren in Italien.

Zunächst: Was geschieht mit Flüchtlingen, deren Herkunft man nicht klar feststellen kann? Vielleicht sind sie von der Überfahrt traumatisiert, machen widersprüchliche Angaben und haben keine Papiere. Ihre Herkunft ist ja für ein rechtsstaatliches Verfahren entscheidend. Ihnen muss das Zufluchtsland einen menschenwürdigen Aufenthalt ermöglichen, bis sich eine Lösung findet. Die miserablen Verhältnisse in ungarischen und griechischen Flüchtlingslagern zum Beispiel waren der Grund dafür, dass Deutschland Flüchtlinge nicht dorthin überstellen durfte, obwohl sie von dort hergekommen waren. Ob nun Italien der Pflicht nach einer menschenwürdigen Unterkunft nachkommt, ist natürlich wesentlich schwieriger zu überprüfen, wenn sich die Flüchtlinge nicht in Italien oder der EU befinden. Gegenüber Bürgerinitiativen und Journalisten etwa kann die Regierung den Zugang zu den Zentren wesentlich leichter beschränken.

Dann fragt sich, ob die Prüfung der Asylgesuche in Albanien tatsächlich den Maßstäben des italienischen Rechts genügt. Dort sind mögliche Verstöße ebenfalls schwieriger festzustellen. Außerdem sind da noch diejenigen Flüchtlinge, die laut rechtlicher Klärung abgeschoben werden könnten, die aber von keinem Land aufgenommen werden. Werden die Verhältnisse in den albanischen Zentren vertretbar sein? Würden wir es je erfahren? 

Der Nutzen, den Meloni in Albanien sucht, dürfte schlicht und einfach darin bestehen, dass die Flüchtlinge nicht in Italien ankommen. Was unterdessen in Albanien mit ihnen geschieht, ist eine ganz andere Frage. Für die italienische Öffentlichkeit und ihr Verhältnis zu den Geflüchteten gilt: Aus den Augen, aus dem Sinn. Der Papst kann medienwirksam Lampedusa besuchen, aber bei spezialisierten Sicherheitsanlagen in Albanien ist das wesentlich schwieriger.

Wie sieht es mit der Verlässlichkeit aus?

Die Drittstaatenlösung wird außerdem dadurch erschwert, dass sich die Auffanglager in einem Drittstaat befinden müssen, der sicher und verlässlich ist. Die ehemalige britische Regierung wollte wider besseres Wissen einen unsicheren Staat als sicher erklären. Es stuft zwar auch das europäische Asylrecht Herkunftsländer immer wieder als sicher ein. Doch dort wird nach der gegenwärtigen oder mittelfristigen Sicherheitslage entschieden. Für Drittstaatenprojekte reicht das aber nicht aus. Es wird spekuliert, ob Georgien oder Armenien passende Partner für weitere Drittstaatenprojekte seien. Prompt geht die Wahl in Georgien zu Putins Gunsten aus, und in Armenien hatte sich die Sicherheitslage bereits mit Aserbaidschans Angriff gewandelt.

Ausblick

Die sogenannten Drittstaatenlösungen in der Flüchtlingspolitik können auf den ersten Blick wie eine humanitäre, vertretbare Lösung aussehen. Besonders schwer wiegt aber, dass die menschenwürdige Behandlung der Geflohenen dort schwerer zu überprüfen ist. Außerdem sind sie wesentlich teurer als Befürworter zugeben, und mit dem Modell machen sich Rechtsstaaten ohne Not von dritten Akteuren abhängig. Ich halte den Vorschlag der Drittstaatenmodelle nur für eine Scheinlösung, die letztlich mehr schadet als nutzt. Ich habe insgesamt den Verdacht, die Politik möchte sich die vermeintlich lästigen Geflohenen bloß vom Leib halten. Wer die Flüchtlinge freilich nicht mehr sieht, wird auch weniger Empathie für sie empfinden und weniger Verständnis für ihre Lage aufbringen. Vermutlich ist das der entscheidende Punkt für Giorgia Meloni.