TV-Tipp des Tages: "Inklusion – gemeinsam anders" (ARD)

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TV-Tipp des Tages: "Inklusion – gemeinsam anders" (ARD)
TV-Tipp des Tages: "Inklusion – gemeinsam anders", 23. Mai, 20.15 Uhr im Ersten
Lehrer können so manches Lied davon singen, wie wunderbar verschiedene Projekte in der Theorie klangen und wie grandios sie dann in der Realität gescheitert sind. Das Drama "Inklusion" zeigt, wie so was im schulischen Alltag aussieht.

Reformen haben den Nachteil, dass sie sich irgendwann in der Praxis bewähren müssen. Lehrer können so manches Lied davon singen, wie wunderbar verschiedene Projekte in der Theorie klangen und wie grandios sie dann in der Realität gescheitert sind. Das Drama "Inklusion" zeigt, wie so was im schulischen Alltag aussieht. Der Titel mag trotz des Zusatzes "Gemeinsam anders" etwas nüchtern ausgefallen sein, aber der Film ist alles andere als das. Nach einem Drehbuch von Christopher Kloeble beschreibt Regisseur Marc-Andreas Bochert einen Modellversuch: Im Rahmen der Inklusion sollen zwei behinderte Jugendliche nicht nur integriert, sondern organischer Bestandteil einer Schulklasse werden. Das ist nicht bloß leichter gesagt als getan, es erfordert zudem von allen Beteiligten ein hohes Maß an gegenseitigem Respekt. Eindringlich beschreibt Koeble, wie schmal der Grat zwischen Erfolg und Misserfolg ist.

Gruppendynamische Prozesse

Gleiches gilt auch für das filmische Projekt, denn Sender und Produktionsfirma hatten den Mut, die beiden wichtigen Rollen zwei relativ unerfahrenen Schauspielern anzuvertrauen. Sie wurden nicht enttäuscht: Paula Kroh und Max von der Groeben machen ihre Sache fabelhaft. Sie spielt Steffi, ein hochintelligentes, aber verbittertes Mädchen im Rollstuhl, das überhaupt nichts von Inklusion hält, Mitschüler provoziert und unverhohlen den Lehrer anbaggert. Er ist als Paul das genaue Gegenteil, ein sanftes, großes Kind, das sich ohne sein Transformer-Spielzeug schutzlos fühlt. Zentrale Figur der Geschichte und eine großartige Rolle für Florian Stetter ist jedoch der Klassenlehrer: Albert Schwarz gehört zu jenen jungen Lehrern, die ihren Beruf als Berufung verstehen. Weitere Erklärungen wären gar nicht nötig gewesen; fast wirkt es ein bisschen wie Verrat an Alberts Engagement, dass seine Frau (Julia Brendler) vor Jahren darauf bestanden hat, ein behindertes Kind abzutreiben.

Aber die ehelichen Konflikte sind ohnehin nur ein Nebenschauplatz. Viel entscheidender und vor allem spannender sind die gruppendynamischen Prozesse, die durch die versuchte Inklusion entstehen: Während Steffi zielsicher all jene verletzt, die es gut mit ihr meinen, entwickelt sich eine zarte Liebesbeziehung zwischen Paul und Mitschülerin Marie (Sophie Schuberth). Deren eingewanderte und offenbar erfolgreich integrierte Eltern protestieren allerdings am lautesten gegen das Projekt: Sie fürchten um die Gesamtleistung der Klasse und somit um die Zukunft ihrer Tochter. Lehrer Schwarz sitzt sowieso zwischen allen Stühlen, und das nicht nur, weil das Kollegium keineswegs an einem Strang zieht: Er muss die Inklusion ohne die vom Schulamt versprochene Hilfe schultern. Aber auch seine Rektorin (Kirsten Block) bekommt ihr Fett weg, als sich rausstellt, dass das Projekt Teil eines unausgesprochenen Deals ist: Als Gegenleistung bekommt die Schule eine Mehrzweckhalle. Dass Steffi ohne fremde Hilfe nicht in ihr Klassenzimmer gelangen kann, weil sie allein gar nicht die Flurtüren aufbekommt, hat niemand bedacht.

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Trotz der unmissverständlichen Botschaft ist "Inklusion" kein Thesenfilm, zumal Buch und Regie immer wieder für Überraschungen sorgen. Und am Ende kommt ohnehin alles anders als erwartet.