Es ist ein Gespräch an einem historischen Ort. In der 1903 erbauten Grunewaldkirche wurde 1921 kein Geringerer als Dietrich Bonhoeffer zusammen mit seiner Zwillingsschwester Sabine konfirmiert. Jahrelang gestaltete der spätere Theologe hier den Kindergottesdienst. Ein guter Ort also, um sich über Geschichte, Gegenwart und Zukunft der eigenen evangelischen Kirche Gedanken zu machen.
Nun fand das zweite Grunewalder Gespräch statt unter der Fragestellung: "Und der Letzte macht das Licht aus? Welche Kirche suchen wir?" Nicht zum ersten Mal treffen sich Haupt- und Ehrenamtliche, um sich über Ihre eigene evangelische Kirche auszutauschen. Viele Argumente und Ideen sind nicht neu. Aber das immer wieder Abwägen ist das, was Gemeindeglieder zahlreich zusammenkommen lässt, zumindest jetzt in der Grunewaldkirche.
Da ist Christian Stäblein, Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Für ihn ist kirchliche Existenz keine Frage des Marketings oder einer noch größeren Werbeabteilung, die dann die Mitgliedszahlen wieder ansteigen lassen würden. "Die Relevanz der Kirche besteht darin, dass man den Glauben an Jesus Christus vermitteln kann, dass das Evangelium durchsichtig ist für das Leben", sagt Stäblein. Ohne Begeisterung für etwas könne man auch nicht andere begeistern. Da bräuchten sich die Kirchengemeinden auch nicht zu verstecken.
Sie seien "Allrounder", die für die unterschiedlichsten Altersstufen und sozialen Schichten attraktive Angebote machen könnten. Aber nicht jede Gemeinde müsse alles machen. Wenn sich die eine etwa auf alte Musik und traditionelle Gottesdienste konzentriere, könne die benachbarte Gospel und Jugendgottesdienste anbieten. Da gelte es sich klug abzustimmen. Aber da sei seine Kirche oft zu schwerfällig. Immer wenn es um eine Neuerung gehe, gebe es 100, die erst einmal darauf schauen müssten oder wollten. Da wünsche er sich mehr start-up-Mentalität. Eben einfach machen!
Gute Ideen, aber langsame Umsetzung
Selbstkritisch gab der Bischof zu, dass es seiner Kirche nicht an Ideen, sondern an der Konkretion mangele. "Wir als Evangelische sind gut darin, sich Sachen auszudenken. Aber in der Umsetzung gibt es dann eine eigentümliche Zurückhaltung", sagt Stäblein. Immer wieder betont der Berliner Bischof, dass es nicht allein um gute Gottesdienste gehe, sondern vor allem um das persönliche Zeugnis der christlichen Botschaft eines jeden und einer jeder Einzelnen. Und das müsse auch im Alltag stattfinden. Ohne persönliche Ansprache gehe es eben nicht.
Daher befürworte er eine Besuchskampagne. Jede Pfarrerin und jeder Pfarrer solle lieber drei Gremiensitzungen weniger und dafür drei Besuchstermine mehr im Terminkalender haben. Gerade so könne es mehr Dynamik in einer Gemeinde geben. "Das Reden über den Glauben ist eine uralte christliche Tradition. Dahinter steht zunächst die einfache Frage: Wie geht es Dir?", verrät Stäblein seine Idee für einen besseren Gemeindeaufbau.
Persönliche Ansprache statt nur Digitalität
Doch diese persönliche Ansprache müsse nicht nur von Person zu Person im analogen Leben, sondern könne oder müsse geradezu für die jüngere Generation im digitalen Raum stattfinden. Die Anonymität der sozialen Medien sei für Ältere vielleicht verwirrend, für Jüngere aber zunächst attraktiv, da die Schwelle der Annäherung deutlich niedriger sei, sagt Theresa Brückner, die erste hauptamtliche Digitalpfarrerin Deutschlands. Bei der Digitalität müsse es ja nicht bleiben. Aber sie sei gut, um überhaupt erst einmal ins virtuelle Gespräch zu kommen.
Brückner plädiert für mehr Mut, neue Wege auszuprobieren. Die Konzentration allein auf den Sonntagsgottesdienst sei längst aus der Zeit gefallen. "Die Essenausgaben bei Laib und Seele sind auch eine Art Gottesdienst. Hier brennen oft Kerzen und es geht auch hier um den Dienst am Menschen", sagt Brückner. Vor allem müsse man sich von Traditionen verabschieden, die heute nicht mehr funktionierten. Die Kirche sei seit 2000 Jahren im Wandel. Da fehle es oft am Willen, Abschiedsprozesse zuzulassen, weil sie mit einem zu großen Schmerz verbunden seien.
Und wieso die Mitgliedschaft wie üblich allein über Taufe und spätere Kirchensteuerpflichtigkeit definieren? "Könnte es auch so etwas wie eine Kirchenmitgliedschaft auf Probe geben?", gibt die Pfarrerin zu bedenken. Das alleinige Starren auf die Mitgliedszahlen führe nicht weiter. Vielmehr gehe es darum, die eigene Relevanz aufzuzeigen: "Was braucht mein Kiez, die Stadt, die Region und was kann ich als christliche Gemeinde tun?"
Vor allem solle man sich mit seinem christlichen Glauben nicht verstecken, sagt der ehemalige deutsche Fußballnationalspieler Arne Friedrich. Er bekennt sich immer wieder zu seinem Glauben, engagiert sich heute in einer freikirchlichen Gemeinschaft. Doch dafür werde er hierzulande oft schief angesehen, als sei er in einer Sekte. In den USA herrsche da ein viel besserer und offenerer Umgang. Die Mannschaften hätten dort oft einen eigenen Stadiongeistlichen. Vor dem Spiel würden beide Mannschaften, die eigene wie die gegnerische, gemeinsam eine Andacht halten.
Für ihn ist der Pastor wie ein Trainer, der seine Mannschaft so zusammenstellt, dass sie am besten ins Spiel kommt und möglichst gewinnen kann. Aufs Christentum übertragen geht es um den Erfolg des "Menschenfischens", wie es Jesus schon in der Bibel angeregt hat. Und kein Trainer werde von der Mannschaft akzeptiert, wenn er nicht auch öffentlich und freimütig Fehler zugebe.
"Da müssten manche Pfarrer und Hauptamtliche auch mal von ihrem Sockel runterkommen und sagen: Ich mache auch Mist! Das öffnet dann auch die Herzen", meint der ehemalige Fußballprofi. Dieser Abend in Grundewald ist zumindest kein Mist und kein Fehler. Gut ist es auf jeden Fall, wenn sich Interessierte, Laien und Hauptamtliche weiter darüber austauschen, wie ihre Kirche weiterleben kann und soll.