Das Fernsehen hat sich schon mehrfach mit dem Katz-und-Maus-Spiel zwischen Funke und der Polizei beschäftigt, zuletzt der RBB mit der kurzweiligen Dokuserie "Jagd auf Dagobert" (2022). Roland Suso Richter hat bereits vor dreißig Jahren "Das Phantom – Die Jagd nach Dagobert" gedreht.
Der Sat.1-Film schilderte die Ereignisse aus Sicht des leitenden Ermittlers (Dieter Pfaff), der Erpresser war bloß eine Randfigur. Die Serie stellt ihn dagegen ins Zentrum; Funke (Friedrich Mücke) führt zudem als Erzähler durch die Geschichte. Der Stoff bringt zumindest in der Version von Ronny Schalk (Buch) und Hannu Salonen (Regie) alles mit, was eine Miniserie braucht: einen Helden, der zur Identifikation einlädt, eine ordentliche Portion Drama, jede Menge Spannung, da diverse Verhaftungsversuche buchstäblich um Haaresbreite scheitern; und schließlich einen enormen Aufwand an Menschen und Material, weil die Polizei keine Kosten und Mühen gescheut hat, um den Erpresser in die Falle zu locken.
Funkes Bomben richteten zwar enormen Sachschaden an, aber er achtete tunlichst darauf, niemanden zu verletzen. Weil der brillante Tüftler den Fahndern ständig ein Schnippchen schlug, war die Jagd nach "Dagobert" gerade für die Boulevardmedien ein gefundenes Fressen: Der Verbrecher avancierte zum Volkshelden, die Ermittler wurden als die Deppen der Nation dargestellt. Schon die RBB-Doku, in der der zum "Dagobert-Jäger" ernannte ehemalige Leiter des LKA-Hamburg eine wichtige Rolle einnahm, hat dieses Bild zurechtgerückt. Auch Schalk belässt der "Soko Dagobert" (Moritz Führmann, Sonja Gerhardt, Mišel Mati?evi?, Ronald Kukulies) ihre Würde. Das Team macht im Grunde alles richtig, aber "Dagobert" ist einfach schlauer.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
In der Dokumentation durfte der 2001 aus der Haft entlassene Funke seine Sicht aus dem Off schildern, er brachte unter anderem eine Depression als mildernden Umstand ins Spiel. Auch bei Schalk sind die psychischen Probleme ein Thema; mehrfach hält sich der lebensmüde Funke eine Pistole unters Kinn. Rückblenden in die Kindheit liefern weitere Motive. Trotzdem lässt Schalk keinen Zweifel daran, dass es dem Erpresser in erster Linie ums Geld ging.
Dank der cleveren Kombination aus Fakten und Fiktion bilden die sechs Folgen eine kurzweilige Mischung aus Komödie und Drama. Die Szenen mit den immer wieder scheiternden Geldübergaben sind zudem die reinste Farce. Dank der Umsetzung durch Salonen und Kameramann Felix Cramer wirkt "Ich bin Dagobert" ohnehin wie eine jener Gaunerkomödien im Stil von "Ocean’s Eleven", in denen sympathische Kriminelle ein großes Ding drehen.
Zwischendurch gibt es gar Anleihen beim Horrorfilm: Funkes dunkle Seite wird von einem imaginären Freund mit rotglühenden Augen verkörpert, der wie eine Mischung aus einer untoten Disney-Figur und Freddy Krueger wirkt. Dieses Alter Ego animiert Funke regelmäßig, seinen Forderungen mit Bomben Nachdruck zu verleihen, und wenn sich der Verbrecher schließlich überzeugen lässt, ist das rote Glimmen auch in seinen Augen zu erkennen.
Einige Passagen, etwa ein Trip nach Spanien, hätten sich kürzer erzählen lassen, aber die hochwertige und oft kunstvolle Bildgestaltung lässt die Serie sehr teuer wirken; von Ausstattung und Kostümbild ganz zu schweigen. Außerdem erfreuen Salonen und Cramer, seit der ARD-Serie "Oktoberfest 1900" (ebenfalls mit Mati?evi?) ein kongeniales Gespann, gern durch ungewöhnliche Einstellungen und Perspektiven.
Gleich zu Beginn zeigt die Kamera aus der Vertikalen einen Plattenspieler, der jedoch stillzustehen scheint; stattdessen rotiert die Umgebung in 33 Umdrehungen pro Minute. Später wiederholt sich das Motiv, als Funke sein Glück im Spielcasino versucht; diesmal dreht sich die Welt um den Roulettekessel. Mehrfach illustrieren visuelle Effekte grafisch, wie sich Funke seine Flucht nach der Geldübergabe vorstellt; die entsprechenden Pläne waren in der Tat brillant. Es sind vor allem optische Einfälle wie diese, die "Ich bin Dagobert" zu einer besonderen Serie machen. Einmal fliegt ein Fernseher auf Funke zu, auf dem Bildschirm spricht sein verstorbener Vater (Martin Feifel) zu ihm. An anderer Stelle erläutert Funke als RTL-Sprecher, was es mit seiner Krankheit auf sich hat. Ausschnitte aus "RTL aktuell" mit dem jungen Peter Kloeppel sorgen für den zeitgenössischen Rahmen. RTL-Sender Nitro zeigt alle Folgen am Stück.