Die Einheit von Ost- und Westdeutschland ist nach den Worten von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auch nach 34 Jahren nicht vollendet. Bei einem Festakt zum Tag der Deutschen Einheit am Donnerstag in Schwerin rief Scholz dazu auf, der Geschichte der Einheit neue Kapitel hinzuzufügen. "Wo immer Politik bessere Lebenschancen und gleichwertige Lebensverhältnisse schaffen kann, da muss das geschehen", sagte der Kanzler im Mecklenburgischen Staatstheater. Zugleich unterstrich er, "wie weit wir gemeinsam vorangekommen sind in Deutschland".
Die zentralen Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit fanden in diesem Jahr in Mecklenburg-Vorpommerns Landeshauptstadt Schwerin unter dem Motto "Verein Segel setzen" statt. Mecklenburg-Vorpommern hat derzeit den Vorsitz im Bundesrat inne. Zu den Gästen des Festaktes zählten auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD).
Für Millionen Ostdeutsche habe der radikale Umbruch nach dem 3. Oktober 1990 "Befreiung und Neuanfang" bedeutet, sagte Scholz. Zugleich sei er aber für Millionen Ostdeutsche auch der "Zusammenbruch ihres gesamten bisherigen Lebens" gewesen: "eine Entwertung ihres Wissens, ihrer Erfahrungen, ihrer Lebensleistung", so der Kanzler. "Und hier liegt wohl eine der Ursachen für die noch immer besondere Stimmung - die besondere Verstimmung - und für politische Besonderheiten, die Ostdeutschland heute kennzeichnen."
Mit Blick auf die jüngsten Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, bei denen die AfD jeweils rund 30 Prozent der Stimmen erhalten hatte, äußerte Scholz die Überzeugung, dass die "ganz große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger überall in Deutschland" fest auf dem Boden der freiheitlichen Ordnung stehe. "Das sind die Vernünftigen und die Anständigen. Das sind die, die nicht nur motzen, sondern anpacken für unser Land. Diese Mitte ist viel größer als die Radikalen an den Rändern", betonte der Kanzler.
Der Osten bleibt der Osten
Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig (SPD) sagte bei dem Festakt, es gebe noch immer Benachteiligungen, "mit denen wir uns nicht abfinden dürfen". Dazu gehörten unterschiedliche Löhne, geringere Vermögen, weniger große Unternehmen. Das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse sei noch nicht erreicht. Zugleich betonte die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, dass der Osten anders bleibe: mit seinen Erwartungen, Erfahrungen, Einstellungen und Lebensentwürfen. Über diese Unterschiede sei in der Vergangenheit zu oft hinweggegangen worden.
Bischöfin: Handwerk der Demokratie neu lernen.
Die zentralen Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit hatten am Vormittag mit einem ökumenischen Gottesdienst im Schweriner Dom begonnen. Die Landesbischöfin der evangelischen Nordkirche, Kristina Kühnbaum-Schmidt, sagte in ihrer Predigt, dass "das Handwerk der Demokratie" neu gelernt werden müsse. Es gehe es jetzt darum, zusammenzustehen und zusammenzuarbeiten. "Denn: wir lassen den Dingen doch nicht einfach ihren Lauf - und wir lassen uns auch nicht wieder wegnehmen, wofür Menschen auch aus diesem Dom vor 35 Jahren auf die Straße gegangen sind", sagte die Theologin.
Der katholische Erzbischof Heiner Koch (Berlin) sagte in seiner Predigt, Vielfalt sei eine große Chance, aber auch eine enorme Herausforderung. Zur Einheit in der Gesellschaft gehöre, andere Menschen in ihrem Anderssein zu respektieren und Kompromisse zu suchen. Keiner dürfe liegen gelassen werden, gerade nicht die Schwächsten. Es müsse ein Dialog darüber geführt werden, was man mit Würde, Gesellschaft und Freiheit verbindet. "Deutschland als Lerngemeinschaft. Das wär's", sagte Koch.
Im kommenden Jahr werden die zentralen Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit im Saarland stattfinden.