Wenn die Pfarrfrau wie eine "Schlampe" herumläuft

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Die Württembergischen Pfarrberichte der Jahre 1924 bis 1966 stehen seit kurzem online zur Verfügung. Die Sprache ist für das heutige Empfinden oft "anstößig". (Symbolbild)
Württembergische Pfarrberichte
Wenn die Pfarrfrau wie eine "Schlampe" herumläuft
Die Pfarrfrau eine "Schlampe", ihre Kinder "die schmutzigsten im Dorf" - so liest sich die Beschreibung über eine Pfarrfamilie in Hohenlohe im Jahr 1966. Die Pfarrberichte stehen inzwischen online und enthalten weitere Skurrilitäten.

Der evangelische Pfarrer von Wiesenbach (Hohenlohe) stand 1966 bei seinem Vorgesetzten nicht in gutem Ruf. "Er verplempert seine Zeit und Kraft mit vielen Nebensächlichkeiten", heißt es über den Ortspfarrer in einem Bericht, der im Archiv der Evangelischen Landeskirche in Württemberg ruht. Noch härter fällt das Urteil des Dekans über die Ehefrau des Seelsorgers aus: "Diese versteht vom Haushalt, insbesondere vom Kochen, gar nichts. Ihre Kinder sind die schmutzigsten im Dorf. Sie selbst ist in der Kleidung eine Schlampe, daß man sich in der Gemeinde und im Pfarrkranz gleichermaßen entsetzt."

Die Pfarrberichte der Jahre 1924 bis 1966 stehen seit kurzem online zur Verfügung. Uwe Heizmann vom Landeskirchlichen Archiv hat die Digitalisierung zum Anlass genommen, aus den Berichten erhellende und skurrile Beobachtungen zusammenzustellen. So liest man 1958 nach einer Visitation in Benzenzimmern im Ostalbkreis, der für die Kirchenkasse zuständige Mann sei "schlampig und oberflächlich". Doch lasse er sich schwer aus dem Amt entfernen, weil die halbe Gemeinde mit ihm verwandt sei und "auch in anderen Angelegenheiten der Kirchengemeinde ein verschworenes Lager bildet".

Für Heizmann sind die Berichte nicht nur Quellen für Forschungen der Kirchen- und Schulgeschichte, sondern auch für Fragestellungen aus der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, der politischen Geschichte und der neueren Kulturgeschichte. Dabei seien Formulierungen in den Berichten "unangemessen" oder "anstößig", räumt der Archivar ein. Er hofft auf Bachelor-, Master- und Doktorarbeiten bis hin zu Habilitationsschriften, die auf Grundlage dieser Quellen geschrieben werden.

Auch für den Zustand der Menschen interessieren sich die Berichte. Über Männer in Maulbronn bei Pforzheim, die von Beruf Steinhauer sind, heißt es 1938, sie seien "rauhe Menschen, die jederzeit eine Vorliebe für Alkohol haben". Den Bürgern in der abgeschiedenen Schwarzwald-Gemeinde Loffenau bescheinigt 1954 der Dekan, eine "jahrhundertelange Inzucht hat eine Bevölkerung geschaffen, in der geistig minderbegabte und psychisch labile Menschen einen hohen Prozentsatz bilden". Außerdem sei die Gemeinde von der Landeskirche oft lieblos behandelt worden, indem man etwa die Position des Gemeindepfarrers als "Strafstelle" geführt habe.

Warnung vor "Mischehen" 

Das Verhältnis zu den Katholiken war in Württemberg lange angespannt. Gemischtkonfessionelle Ehen wurden von den Obrigkeiten beider großen Kirchen nicht gerne gesehen. Nachdem ein Katholik eine Protestantin geschwängert hatte, hieß es im Pfarrbericht aus Mühlheim bei Sulz am Neckar im Jahr 1928: "Der katholische Geistliche in Empfingen wollte den Bräutigam veranlassen, seine Braut wegen des vorhandenen Kindes auszubezahlen und nicht zu heiraten." In Neckartenzlingen bei Esslingen notierte der evangelische Kirchengemeinderat noch 1956: "Vor der Eingehung einer Mischehe kann nicht eindringlich genug gewarnt werden."

Kirchliche Sitte und Moral sind offenbar schon vor der 1968-er-Bewegung in Württemberg ins Wanken geraten. "Voreheliche Geschlechtsgemeinschaft ... bis das Kind kommt ... werden unumwunden zugegeben", steht 1961 im Pfarrbericht von Mönsheim bei Pforzheim. Und Jahrzehnte vor der Erfindung der Antibabypille hieß es 1932 im Pfarrbericht aus Mitteltal bei Freudenstadt über kinderreiche Häuser: "Wie kann man auch so viel Kinder haben, wenn es Mittel dagegen gibt!"

Der Einfluss der Medien spiegelt sich ebenfalls in den Berichten wider. Schon 1932 beklagt der Kirchengemeinderat von Neckargartach bei Heilbronn, dass manche Gemeindemitglieder die Predigt am Sonntag lieber im Radio hörten. Die Verantwortlichen vor Ort bedauerten, dass die vor dem Radiogerät sitzenden Christen kein Bekenntnis in der Öffentlichkeit ablegten, wie das durch den Kirchgang geschehe.

Der Zustand der Pfarrhäuser bereitete den Gemeinden immer wieder Kopfzerbrechen. In Schömberg bei Calw soll das Haus für den Pfarrer 1960 eine solche Bruchbude gewesen sein, dass der Dekan befürchtete, keinen Bewerber mehr für die Pfarrstelle zu finden. Und über Unterheinriet bei Heilbronn hieß es 1963: "Pfarrer P. wohnt in dem Pfarrhaus in solch einer Primitivität, dass seine Behausung eher an einen Gefechtsstand an der alten Rußlandfront erinnert wie an ein gastliches Pfarrhaus".