TV-Tipp: "Tatort: Es grünt so grün..."

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29. September, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: Es grünt so grün..."
Dass jemand als Erzähler durch einen Film führt, ist nicht ungewöhnlich. Dass diese Person von sich selbst als "Tristan Grünfels" spricht, mutet dagegen zunächst befremdlich an.

Die distanzierte Haltung ist allerdings durchaus stimmig, denn was andere für Selbstgespräche halten würden, ist ein Dialog zwischen dem verwirrten Protagonisten und seinem vernünftigen Alter Ego. Der Unterschied ist leicht erkennbar: Tristan eins neigt zu einem nervösen Lidzucken und wirkt erst seelisch und nach einer Auseinandersetzung mit zwei Schutzbefohlenen auch äußerlich derangiert. Der lächelnd in sich ruhende zweite Tristan dagegen strahlt eine fast schon spirituelle Selbstzufriedenheit aus. 

Selbst wenn das zunächst nicht nach Krimi klingt: Allein wegen Matthias Brandt ist dieses Abschiedsgeschenk des Hessischen Rundfunks für sein 2015 gestartetes "Tatort"-Duo Janneke und Brix (Margarita Broich, Wolfram Koch) sehenswert. Die beiden haben schon eine Menge erlebt, aber Fall Nummer neunzehn ist sicher der ungewöhnlichste und schon allein wegen der famosen optischen Ideen preiswürdig.

"Es grünt so grün, wenn Frankfurts Berge blüh’n" beginnt mit einem geistigen Ausflug. Tristan ist psychologischer Psychotherapeut und besitzt die Gabe, sich in eine andere Welt zu flüchten, wenn ihn die eigene bedrückt; so erzählt es der Erzähler. Dazu zeigt der Film eine berückende blühende Landschaft, in der Tristan auf einem Hügel steht und selig lächelt. "Hier fühlt er sich leicht", teilt Tristan 2 mit, und tatsächlich heben sich nun seine Füße vom Boden. In der Realität, die mit ihrem leichten Grünstich und den fahlen Farben einen klaren Kontrast  zur Traumlandschaft darstellt, spielt sich derweil ein ganz normaler Familienmorgen mit zwei renitenten Teenagern und einer unzufriedenen Gattin ab; hier fühlt sich Tristan wie ein Zuschauer seines eigenen Lebens.

Zum Krimi wird die Geschichte, als der Therapeut, ein großer Liebhaber von Gemälden im Stil der deutschen Romantik, just solche Bilder im Sperrmüll entdeckt; eins davon hat verblüffende Ähnlichkeit mit der Auftaktszene. Eine impertinente Ordnungshüterin will ihm einen Strafzettel verpassen, weil er mitten auf der Straße geparkt hat. Die Folge ist ein Handgemenge, in dessen Verlauf die Frau so unglücklich stürzt, dass sie stirbt. Tristan macht sich zwar aus dem Staub, aber später plagt ihn sein schlechtes Gewissen. Als er sich stellen will, kommt es zu einem Missverständnis: Janneke, die schon früher mit dem Psychologen zu tun hatte, hält ihn für den Opferbetreuer, weshalb nun ausgerechnet er jenem Mann (Sascha Nathan) Trost spenden soll, den er zum Witwer gemacht hat. 

Schon allein diese Ebene des Drehbuchs mit ihrem Wechselspiel von Schein und Sein, Wahn und Wirklichkeit, Tag und Traum ist faszinierend, aber Michael Proehl, der damals auch den ersten Film für Broich und Koch geschrieben hat, sowie sein Koautor Dirk Morgenstern geben der Geschichte einen weiteren Dreh: Die Suche nach dem Mörder eines Informanten von Brix führt zur Rotlichtgröße Leonardo Muller (Ronald Kukulies). Mit dem Mann ist nicht zu spaßen; und ausgerechnet bei diesem Typen hat Tristans Bruder (Andreas Schröders) erhebliche Spielschulden. Zu allem Überfluss stellt sich auch noch raus, dass Tristans Frau (Patrycia Ziolkowska) eine Affäre hat. Schwierig und belastend, heißt es in Krimis gern, sei nur der erste Mord, und deshalb zieht sich alsbald eine blutige Spur durch Tristans Leben. 

All das ist zwar nicht komisch, aber dennoch ein großes und von Till Endemann (Regie) und Philipp Sichler (Kamera) mit spürbarer Freude an den visuellen Möglichkeiten sowie viel Sorgfalt im Detail umgesetztes Krimivergnügen. Herzstück des Films ist eine Ausstellung, die Tristan mehrfach aufsucht, weil sie vom Freund seiner Tochter gestaltet worden ist. Hier gibt es einen Raum mit einer von Explosionen erschütterten Variation von Caspar David Friedrichs berühmtem Gemälde "Der Wanderer über dem Nebelmeer". Sie ist laut Morgenstern der Spiegel von Tristans Seele; das mit riesigen Klauen bewehrte Monster, das bedrohlich auf die Kamera zustapft, könnte demnach die Dämonen repräsentieren, die Tristan permanent plagen.

Ausstellung und Installation sind dank Szenenbild und visueller Effekte perfekt umgesetzt. Gleichfalls preiswürdig ist die vom HR-Sinfonieorchester eingespielte Musik (Raffael Seyfried) mit ihren Wagner-Anklängen. Selbstredend kommt es im Friedrich-Raum auch zum Finale, das aber noch nicht den Schluss des Films bildet: Erst zeigt sich, dass der Auftakt in Wahrheit eine Rückblende ist; und dann folgt ein Epilog mit Knalleffekt.