TV-Tipp: "Die stillen Mörder"

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28. September, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Die stillen Mörder"
"Wir dürfen nicht zulassen, dass aus dem Leid der alten Menschen Kapital geschlagen wird." Ein Satz wie in Stein gemeißelt, allerdings derart salbungsvoll vorgetragen, dass klar wird: Gemeint ist das völlige Gegenteil.

Am Schluss wird die Devise erneut erklingen. In der Zwischenzeit ist ihre ganze zynische Tragweite offenbar geworden; "Requiem des Todes" lautete ein Arbeitstitel dieses Films. Dass in Seniorenheimen Menschen sterben, liegt in der Natur der Sache, und zunächst ist Mia Stocker (Milena Tscharntke), Anwältin für Medizinrecht, überzeugt, die Pflegekräfte hätten sich bloß die Arbeit erleichtert, als sie den alten Menschen ein Beruhigungsmittel spritzten; doch das ist nicht mal die halbe Wahrheit. 

Martin Dolejs und Christine Heinlein erzählen mit "Die stillen Mörder" eine komplexe Geschichte über Profitgier, Verrat und eine schwierige Vater/Tochter-Beziehung. Entsprechend vielfältig sind die Vorzeichen: Der Film beginnt als Thriller, wandelt sich zum Drama und wird wieder zum Thriller, als die junge Heldin durch ihre hartnäckigen Nachforschungen in Lebensgefahr gerät. Dank kurzer Einschübe blitzt zudem immer wieder ein traumatisches Ereignis aus ihrer Vergangenheit auf, das sie bis heute prägt. Die Krimiebene schwebt dabei die ganze Zeit im Hintergrund mit, denn schon der Auftakt lässt keinen Zweifel daran, dass es in dem Heim nicht mit rechten Dingen zugeht: Zwei dunkle Gestalten nötigen den Leiter aufs Dach und stoßen ihn in die Tiefe.

Ohne diesen Prolog wäre, was nun folgt, ein Routinefall für die Kanzlei von Mias Vater (Joachim Raaf), als sein Freund Willenborg (Matthias Matschke) um juristischen Beistand bittet: Seinem Unternehmen droht eine Klage, weil eine Patientin falsch medikamentiert worden ist. Ein Besuch im Pflegeheim genügt Stockers Mitarbeiter Jan Wilke (Franz Hartwig), um Willenborg von jedem Vorwurf reinzuwaschen, zumal Mia beim Aktenstudium rausfindet, dass es noch weitere Fälle dieser Art gegeben hat: Offenbar hat Pflegerin Dana Kowalzczyk (Maria Magdalena Wardzinska) gesunden Patienten ein beruhigendes Demenzmittel verabreicht, weil sie sonst nicht genug Zeit hätte, um alle ihre Aufgaben zu erledigen. Über den Einwand der Frau, sie habe nur getan, was man ihr gesagt habe, geht Wilke hinweg. Die Klage wird abgewiesen, stattdessen wird nun die Pflegerin verhaftet; Willenborg ist zufrieden.

Als die Frau kurz drauf im Gefängnis stirbt und der Witwer (Eugen Knecht) seine ohnmächtige Wut an Mia auslässt, beginnt sie zu ahnen, dass mehr hinter der Sache steckt. Das Drehbuch basiert auf wahren Begebenheiten, die der "Spiegel" 2020 aufgedeckt hat. Natürlich will der Film nicht nur auf Missstände im Pflegesystem hinweisen, es geht auch um das Abstellgleis, auf das die Alten geschoben werden. Alle reden von Wokeness, sagt Regisseur Till Endemann sinngemäß, aber die ältere Generation werde dabei oft übersehen. Dieses Anliegen steht jedoch nicht im Mittelpunkt, es wird nicht mal ausgesprochen, weil das auch gar nicht nötig ist. Das Drehbuch konzentriert sich auf Mia, die wie viele junge Heldinnen in Geschichten dieser Art hin und her gerissen ist: hier die Loyalität zum Vater, dort ihr Gerechtigkeitsempfinden; von der Schweigepflicht und dem Risiko, ihre Zulassung zu verlieren, ganz zu schweigen. 

Milena Tscharntke, Jahrgang 1996 und eins der vielen Talente aus der Webserie "Druck" (auch dort spielte sie eine Mia), ist eine interessante Besetzung für diese Rolle, zumal sie ohne weiteres noch als Abiturientin durchgehen könnte; ihre Fragilität weckt ohnehin prompt männliche Beschützerinstinkte. Mias vermeintliche Naivität wiederum erklärt im Nachhinein, warum Willenborg ausdrücklich auch sie mit dem Fall betraut haben wollte. Wilke hat zunächst zwar überhaupt keine Lust, mit der Tochter vom Chef zusammenzuarbeiten, aber schließlich mag er sie doch. Deshalb zerstreuen sich vorübergehend auch die Vorbehalte zumindest jenes Teils des Publikums, der Franz Hartwig noch gut als formidabel verkörperten Mörder in der Sky-Serie "Der Pass" (2019) in Erinnerung hat. 

Endemann hat seit "Flug in die Nacht" (2009, über die Flugzeugkatastrophe von Überlingen) eine Vielzahl zum Teil herausragender Filme gedreht, etwa das Justizdrama "Unter Anklage" (2014) über den Fall Harry Wörz oder das berührend gespielte Demenzdrama "Ein Leben lang" (2022). Sein Inszenierungsstil ist in der Regel sachlich, weshalb die vielen und nicht immer nötigen Zeitlupeneffekte aus dem Rahmen fallen. Mias Mutter (Mignon Remé) ist als ewiger Teenager unnötig überzeichnet, was angesichts der guten Ensemble-Leistung jedoch nicht weiter stört.