TV-Tipp: "Querschuss"

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27. September, Arte, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Querschuss"
Der Großvater wird achtzig, und das soll gefeiert werden, aber dazu kommt es nicht: Wenige Tage vor dem Ereignis nimmt sich der alte Mann das Leben.

Nach dem ersten Schock sucht sein Sohn Andreas den Hausarzt auf: Hatte der Vater womöglich Krebs? Der Arzt versichert jedoch, Joachim sei für sein Alter im Gegenteil erstaunlich gesund gewesen. Prompt gesellt sich zur Trauer die Frage, warum er sich erschossen hat.

Andreas (Christian Berkel), ohnehin überzeugt, dass der Vater ihn für einen Versager gehalten hat, weil nicht er, sondern seine Frau Bibi (Bibiana Beglau) das Geld nach Hause bringt, ist zutiefst verletzt. Kaum ist der erste Schock halbwegs verdaut, folgt ein zweiter: Das Haus, in dem Andreas, mit Bibi und ihre Tochter Stella leben, gehört Joachim. Andreas und seine Schwester Ulrike (Andrea Sawatzki) sind hier aufgewachsen. Nach der Joachims Pensionierung haben die Eltern seine Arztpraxis im Anbau zu einer Wohnung umbauen lassen. Das Eigenheim hat der Alte jedoch nicht etwa Andreas, sondern Ulrike vermacht.

Drehbuchautorin Esther Bernstorff, unter anderem mit dem Deutschen Filmpreis ("4  Könige", 2016) ausgezeichnet, hat zuletzt für die ARD "Haus aus Glas" geschrieben. In der zu Beginn des Jahres ausgestrahlten Miniserie arbeiten sich vier Geschwister noch zwei Jahrzehnte später an einem Kindheitstrauma ab; die sechs Folgen spielten wie auch "Querschuss" fast ausschließlich im Haus der Familie, wo alle anlässlich einer Hochzeit zusammengekommen sind. Derartige Konstellationen sind naturgemäß stark vom Dialog geprägt, weshalb nicht nur die individuelle Besetzung, sondern auch die Zusammenstellung des Ensembles entsprechend wichtig ist, und die ist auch diesmal perfekt gelungen. 

Heimlicher Star des Films ist allerdings Stella Kann als Nesthäkchen. Das Mädchen hat für sein junges Alter eine enorme Ausstrahlung und fügt sich perfekt in die prominente Gemeinschaft ein. Die Rolle ist von großer Bedeutung, denn Stella, von der Familie Sternchen genannt, bildet den in sich ruhenden Gegenpol zur tiefen Emotionalität der anderen.

Besonders innig sind die gemeinsamen Szenen mit Andrea Sawatzki; Stella und die Künstlerin Ulrike, von der zumindest die Mutter offenbar ebenfalls keine allzu hohe Meinung hatte, bilden mit ihrer roten Haarpracht schon äußerlich ein gutes Gespann. Das beste Verhältnis zum Großvater hatte Enkel Clemens (Thomas Prenn), und das nicht nur, weil er in Joachims Fußstapfen getreten ist. Ihm hat der Alte auch seinen Abschiedsbrief hinterlassen. In die hässlichen Szenen, zu denen es nun zwischen Clemens und seinem Vater kommt, brechen einige alte Wunden auf. 

Stella gibt dem Film am Schluss mit dem melancholischen Clueso-Lied "Alles zu seiner Zeit", das sie oft mit dem verwitweten Opa gehört hat, im Nachhinein sein Leitmotiv. Das akustische Signal, das sich durch den gesamten Film zieht, ist allerdings die Klingel: Ständig stehen Mitarbeiter verschiedener Unternehmen vor der Haustür, um ein Zelt aufzubauen oder Tische, Stühle sowie das bestellte Catering zu bringen. Den Festgästen hat die Familie zwar abgesagt, aber Bernadette (Ursula Werner) ist trotzdem gekommen. Die personifizierte Lebensfreude war Joachims Jugendliebe und gibt einige Anekdoten zum Besten, deren schlüpfrige Details zwar kein bisschen in den Rahmen passen, aber für viel Heiterkeit sorgen.

Was sie erzählt, passt überhaupt nicht zu dem Bild, das Andreas und Ulrike von ihrem Erzeuger haben: Joachim habe schon immer "Dämonen mit sich rumgeschleppt" und sei bereits mit zwanzig suizidal gewesen. Von Frohnatur Bernadette stammt auch der Schlüsselsatz des Films, als sie von ihrem eigenen Vater erzählt. Den habe sie nie leiden können, aber nach seinem Tod sei sie in ein tiefes Loch gefallen; in solchen Momenten erlebe man noch mal "die gottlose Einsamkeit der Kindheit".

Interessant ist auch der Entschluss, das Drehbuch im Hochsommer zu verfilmen. Selbst wenn die Entscheidung ganz andere Gründe hatte: Das flirrende Licht und das lautstarke Zirpen der Grillen bilden einen reizvollen Kontrast zur düsteren Handlung. Regie führte die wie Bernstorff vielfach ausgezeichnete Nicole Weegmann. Zu ihren besten Filmen gehört "Ihr könnt euch niemals sicher sein" (ARD). Für das Schuldrama mit Ludwig Trepte als vermeintlicher Amokläufer hat sie 2009 den Grimme-Preis bekommen. Mit Bernstorff hat sie bereits bei "Ein Teil von uns" (ARD) zusammengearbeitet; für das gleichfalls vorzüglich gespielte bedrückende Drama mit Brigitte Hobmeier als Tochter einer Obdachlosen sind beide 2017 ebenfalls mit dem Grimme-Preis geehrt worden.