Dass sich die Verehrung indes womöglich in Grenzen hält, legt eine despektierliche Anrede nahe. Die Königinmutter benennt die Frauen grundsätzlich nur nach dem Produkt, für das sie stehen: "Milch", "Zwiebel", "Spargel". Die auf Zeit gewählten Regentinnen repräsentieren beim jährlichen Treffen indes nicht nur Agrarerzeugnisse, sondern auch ihre Region. Es handelt es sich daher keineswegs um eine zweifelhafte Ehre, zur Honig- oder Kirschkönigin gewählt zu werden. Dennoch schreit das Sujet förmlich danach, als Komödie verarbeitet zu werden, was Robert Löhr in seinem zweiten BR-"Tatort" auch genüsslich getan hat.
Ein Krimi ist "Königinnen" (TV-Premiere war 2023) trotzdem: Als der Präsident des "Bavaria-Bunds" leblos in seinem Hotelzimmer gefunden wird, stellt sich die Frage, ob seine Nahtoderfahrung das Ergebnis eines Mordversuchs oder eines fehlgeschlagenen Suizids war. Ein Unfall ist ebenfalls nicht auszuschließen: Tatwaffe war ein sogenannter Schlachtschussapparat, ein Bolzengerät, mit dem Tiere vor dem Schlachten betäubt werden. Eine tote Biene legt die Vermutung nahe, dass sich ein Schuss gelöst hat, als Josef Gehrling das Gerät inspizieren wollte. Aber warum ist dann die Weißwurstkönigin, wie eine Reinigungskraft beobachtet hat, in offenkundiger Panik aus seinem Zimmer gestürmt? Bei ihrer Flucht hat Sina (Bernadette Leopold) einen Schuh verloren, und diese Aschenputtel-Anspielung ist nur einer von vielen Späßen, die sich Löhr erlaubt. Ein weiterer ist ein Insider-Gag in eigener Sache, als Ivo Batic (Miroslav Nemec) später unter einem Pseudonym zum Follower der Zwiebelkönigin wird: Als "Constabler Partridge" hatte er in Löhrs originellem Münchner Weihnachtskrimi "Mord unter Misteln" (2022) ermittelt.
Der vergnügliche Ansatz der Geschichte ist offenkundig, allerdings verzichtet das Drehbuch darauf, die Frauen zu diskreditieren. Zielscheibe des Spotts ist vielmehr der Veranstalter, zumal der Mann keineswegs Opfer, sondern Täter ist, wie diverse Rückblenden offenbaren. Der unsympathische Präsident des Bavaria-Bunds ist ein jovialer Zeitgenosse von altem Schrot und Korn, der unschwer als bayerisches Pendant zum Filmproduzenten Harvey Weinstein zu erkennen ist. In der Tat erzählt "Königinnen" eine "MeToo"-Geschichte in Reinkultur: Gehrling hat den jungen Frauen versprochen, sie zu unterstützen, wenn sie ihm gewisse Gefälligkeiten erweisen. Wolfgang Fierek verkörpert den Mann jedoch keineswegs als verabscheuungswürdigen alten Grabscher; Gehrling ist schlicht ein Fossil. Außerdem, rechtfertigt die von den Königinnen "Queen Mum" genannte Organisatorin (Veronica Ferres) das Fehlverhalten, gehörten ja immer zwei dazu. Und schließlich zeigt sich bald, dass selbst die beiden Ermittler aus der Landehauptstadt nicht gegen Fehltritte gefeit sind, schließlich sind auch sie nicht mehr die Jüngsten. Gerade Leitmayr (Udo Wachtveitl) stolpert von einem Fettnäpfchen ins nächste, zumal sich die attraktive Aichacher Spargelkönigin (Phenix Kühnert) als Transfrau entpuppt. Ihre Wahl war dem konservativen Gehrling selbstredend ein Dorn im Auge, aber sogar in der bayerischen Provinz ist die Zeit nicht im vergangenen Jahrhundert stehen geblieben.
Rudi Gaul hat zuletzt mit einem sehenswerten "Tatort" aus Stuttgart ("Videobeweis", 2022) ebenfalls einen "MeToo"-Film gedreht und auch diesmal den richtigen Tonfall gefunden. Die Stimmung ist vorwiegend heiter, zumal das Drehbuch immer wieder witzige Momente einstreut: Der junge Kollege Kalli (Ferdinand Hofer) kann sein Glück gar nicht fassen, als er im Rahmen der Befragungen wie ein Schmetterling von einer Königin zur nächsten gaukeln darf, und Rechtsmediziner Streinbrecher (Robert Joseph Bartl) wird ganz wuschig, weil er den komatösen Gehrling nicht aufschneiden darf. Eine besondere Rolle spielt die Nördlinger Zwiebelkönigin: Annelie (Daria Vivien Wolf) entpuppt sich als Polizeianwärterin und wird von den beiden Kommissaren kurzerhand zur verdeckten Ermittlerin gemacht. Als Hauptverdächtige drängt sich die Kemptener Honigkönigin (Lilly Wiedemann) auf, denn ihr Tête-à-Tête mit Gehrling hatte Folgen, unter denen sie noch heute leidet. Da die Regentinnen aus ganz Bayern kommen, spielt Lokalkolorit dank der vielen Dialekte eine noch größere Rolle als sonst. Abgerundet wird der Film durch die flotten Klänge von Stefan Dettls Blasmusikapelle LaBrassBanda.