TV-Tipp: "Katharina Tempel: Was wir fürchten"

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20. September, Arte, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Katharina Tempel: Was wir fürchten"
Sie ist Kriminalhauptkommissarin, er ist Pressesprecher der Hamburger Polizei: Die Konstellation erinnert an die ZDF-Reihe "Herr und Frau Bulle" (2018 bis 2021). Auch dort hatte das Titelpaar gewisse Geheimnisse voreinander.

Bei den Eheleuten Tempel liegen die Dinge etwas anders. Die gemeinsamen Momente wirken harmonisch und liebevoll, doch die Idylle wird regelmäßig durch Rückblenden zerrissen, denn Volker Tempel hat sich nicht im Griff: Sobald die beiden zu streiten beginnen, brennt bei ihm eine Sicherung durch. Wie immer in solchen Fällen gelobt der Gatte regelmäßig Besserung, aber es bleibt beim guten Vorsatz. Zwei Filme machen zwar noch keine Reihe, aber es wird einen dritten geben. Nun steht auch die Dachmarke vorn; der ZDF-Auftakt hieß noch "Was wir verbergen – Ein Fall für Katharina Tempel" (Frühjahr 2023).

Damals entdeckte die von Franziska Hartmann mit gewohnt großer Glaubwürdigkeit und entsprechender Intensität verkörperte Titelfigur verblüffende Parallelen zwischen einem Entführungsfall und ihrer eigenen Ehe. Das Drehbuch zur Fortsetzung stammt erneut von Elke Rössler, die fürs ZDF gemeinsam mit Simon X. Rost die sehenswerten Sonntagsreihen "Ella Schön" und "Dr. Nice" geschaffen hat. Im zweiten Tempel-Krimi besteht die Verknüpfung zwischen den beiden Handlungsebenen vor allem in einem Satz: "Einmal Gewalt, immer Gewalt". Das Verdikt stammt von Katharinas Partner Georg König (Stephan Szász) und bezieht sich auf Felix Brenner (Luis Pintsch), einen jungen Mann, der für kleinere Delikte im Gefängnis war und nach seiner Entlassung mutmaßlich eine Lehrerin ermordet hat; die Frau war die Mutter seines früheren besten Freundes.

Zwar gibt es nur Indizien, doch König ist sich sicher, dass Brenner die Tat begangen hat. Als der junge Mann einem Beamten beim Haftprüfungstermin die Pistole entwendet und sich im Handgemenge ein Schuss löst, fühlt sich der Kollege in seiner Gewissheit bestätigt. Interessant wird die Geschichte, als sich Katharina Tempel in den Fall einliest; damals war sie noch beim LKA (die Rolle ist für die ersten Hamburg-Fälle der ZDF-Reihe "Helen Dorn" erfunden worden). In den Akten stößt sie auf einige Ungereimtheiten: Brenner hatte stets seine Unschuld beteuert und auch einen Alibizeugen benannt, aber König hat offenbar gar nicht erst in andere Richtungen ermittelt. 

Tempels Zweifel an der Arbeit des Kollegen, mit dem sie zudem befreundet ist, führen natürlich zu Spannungen; eine weitere Überschneidung mit ihrem Privatleben, denn auch Ehemann Volker (Florian Stetter) ist überzeugt, dass König alles richtig gemacht hat. Prompt kommt es zu einem weiteren Streit, als sich die Meinungsverschiedenheit hochschaukelt; wieder schlägt er zu. Rössler und Regisseur Jens Wischnewski machen allerdings deutlich, dass Katharina nicht bloß Opfer ist, sondern auch ihren Anteil an der Eskalation hat. Natürlich gibt es keinerlei Entschuldigung für die Gewalttätigkeit des Ehemanns, doch die Inszenierung lässt durchaus nachvollziehen, dass ihm schließlich der Kragen platzt: Als er die Warnsignale erkennt, will er sich zurückziehen, aber sie lässt ihn nicht weg, sondern läuft ihm hinterher, um ihn zur Rede zu stellen. 

Ähnlich kompliziert ist das Beziehungsgeflecht im Kriminalfall. Der Film beginnt gewissermaßen im Fotobad: Die Aufnahmen von drei Jungs, die sich übermütig auf einem stillgelegten Frachtschiff tummeln, ziehen sich durch die gesamte Geschichte. Es handelt sich um Felix sowie um zwei Brüder. Die Fotografin war die beim Sturz auf der heimischen Treppe ums Leben gekommene Lehrerin, die beiden Brüder waren ihre Söhne. Einer der beiden ist damals ertrunken, seither war für alle Beteiligten nichts mehr wie vorher. Katharina ahnt, dass der Schlüssel zur Lösung des Falls in dieser Vergangenheit liegt. Wut, Trauer und Erniedrigung mögen sich lange in die tiefsten Winkeln der Seele verdrängen lassen, aber irgendwann bahnen sie sich ihren Weg zurück an die Oberfläche. 

Sehenswert ist "Was wir fürchten" neben der guten Bildgestaltung (Kamera: Morten Søborg) und der Musik (Hannah von Hübbenet), die auch während der ruhigen Passagen atmosphärisch für Unruhe sorgt, vor allem darstellerisch. Neben Hartmann und Florian Stetter, der seine Rolle als häuslicher Gewalttäter beunruhigend gut verkörpert, beeindruckt auch Luis Pintsch durch seine Präsenz. Nicht minder interessant ist Phenix Kühnert als Brenners Schwester, eine Anwältin, die sich vehement für die Abschaffung von Gefängnissen engagiert. Der dritte "Tempel"-Krimi ist bereits abgedreht und trägt den Titel "Was wir begehren".