Wenn seriöse Herrschaften Redewendungen wie "geiler Shit" verwenden oder sich über einen sogenannten Beef austauschen, mutet das nicht nur aus Sicht eines jüngeren Publikums etwas befremdlich an. Bei "Beef" wird der ältere Teil der "Tatort"-Gemeinde vor allem an Fleisch denken, aber in der Musikszene bezeichnet der Begriff einen öffentlich ausgetragenen Dissens zwischen zwei Rappern, die dabei meist auch von ihren Fans sowie von Kolleginnen und Kollegen unterstützt werden. Der Tonfall ist aggressiv, die Texte klingen bedrohlich und rufen unverhohlen zu Gewalt auf.
Wenn dann einer der Widersacher erschlagen in einer Tiefgarage gefunden wird, ist der Weg zum Kontrahenten nicht weit, und das durchaus im Wortsinne: Das Musikstudio von Akman Onur (Murat Seven) ist ganz in der Nähe. Der Tote heißt Theodor Sänftner, trägt aber den für diese Kreise alles andere als martialisch klingenden Künstlernamen Ted Candy. Ted ist von Onur entdeckt worden, galt als kommender Star und war zumindest in Wien bereits weltberühmt. Auslöser des Zwists zwischen den beiden Musikern war Teds Ankündigung, die Plattenfirma zu wechseln.
Im Grunde erzählt das Drehbuch (Franziska Pflaum, Samuel Deisenberger) zum 58. Fall für Moritz Eisner (Harald Krassnitzer), der mit "Deine Mutter" sein 25jähriges Dienstjubiläum feiert, eine ganz gewöhnliche Krimigeschichte mit mehreren Verdächtigen, die die üblichen Mordmotive hätten. Neben Onur drängt sich zunächst Sänftners Mutter Adriane (Edita Malovcic) auf: Die Frau war finanziell von ihrem Sohn abhängig, doch der wollte ihr den Geldhahn zudrehen, weil sie die Kohle größtenteils in Koks und Alkohol investiert; als einzige Erbin hätte sie ausgesorgt.
Und dann ist da noch Teds Freund Ferdl (Tobias Resch). Die beiden waren ein Paar, aber weil Homosexualität unter Rappern verpönt ist, wollte der Musiker die Beziehung geheim halten; ein Video zeigt einen heftigen Streit. Die Ermittlungen konzentrieren sich dann aber doch auf Onur, selbst wenn zwischendurch die Frage aufkommt, ob der "Beef" nicht bloß inszeniert war, um beiden Beteiligten Publicity zu verschaffen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Zu einem dennoch ungewöhnlichen "Tatort" wird die Handlung vor allem wegen des Umfelds, in dem sie sich zuträgt. Gerade die immer wieder eingespielten Videos von "Akman 47" und Ted Candy sorgen für eine spezielle Atmosphäre. Außerdem müssen Eisner und BKA-Kollegin Bibi Fellner (Adele Neuhauser) tief ins Milieu eintauchen, um zu verstehen, wie die Szene funktioniert. Zum Glück kennt sich die junge Kollegein Meret (Christina Scherrer) dort recht gut aus. Während der Oberstleutnant gerade mit dem Gangsta-Rap erheblich fremdelt und das sexistische Gehabe der Protagonisten in ihren Protzautos angesichts des Klimawandels für aus der Zeit gefallen hält, erweist sich die Majorin als überraschend offen.
Ob das angesichts der fragwürdigen Texte sowie der nicht immer jugendfreien Dialoge auch für die Gleichaltrigen im TV-Publikum gilt, ist fraglich, aber die jüngeren "Tatort"-Fans werden feststellen, dass sich die Verantwortlichen um größtmögliche Authentizität bemüht haben. Dafür steht nicht zuletzt Mirjam Unger. Die ehemalige Musikjournalistin hat an Originalschauplätzen gedreht und bei der Umsetzung des Drehbuchs eng mit Mitgliedern der Rap-Szene zusammengearbeitet. Der dank einiger Rückblenden und seiner Musikvideos sehr präsente Ted Candy wird von Aleksandar Simonovski verkörpert, bei Rap-Fans als Yugo bekannt.
Er hat nicht nur Murat Seven geschult, sondern auch einen Song für Adele Neuhauser geschrieben: Im verblüffendsten Moment des Films kommt es zu einem Brücken-"Beef" zwischen Polizei und der Rap-Klientel; die Schauspielerin schlüpft dabei in die Rolle von Ted Candy. Der Auftritt entpuppt sich zwar als Albtraum und hat für die eigentliche Handlung keinerlei Bewandnis, aber der Dreh hat bestimmt großen Spaß gemacht.
Darstellerisch ist "Deine Mutter" ohnehin sehenswert, und das nicht nur wegen Neuhauser und Krassnitzer, die sich nun auch schon seit dreizehn Jahren perfekt ergänzen. Gerade Murat Seven beeindruckt durch seine finstere Ausstrahlung. Zu Beginn des letzten Akts erfreut der Film zudem durch einen kleinen Besetzungsknüller, als sich rausstellt, dass Akman Onur bloß der Diener seines Herrn ist. Ungers letzte Arbeit, die Komödie "Abenteuer Weihnachten – Familie kann nie groß genug sein" (2023, ARD), wirkte etwas konstruiert, aber zwei frühere Weihnachtsfilme der Österreicherin, "Alle Nadeln an der Tanne" (2020, ZDF) und "Schrille Nacht" (2022, ORF/Arte), waren äußerst originell.