Freiwilligendienste könnten kaputt gehen

epd-Bild/Christian Ditsch
Auch vor einem Jahr schon gab es in Berlin Proteste gegen Kürzungen bei den Freiwilligendiensten.
Träger schlagen Alarm
Freiwilligendienste könnten kaputt gehen
Der Entwurf des Bundeshaushalts 2025 sieht im Vergleich zu diesem Jahr für das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) und den Bundesfreiwilligendienst (BFD) weniger Geld vor. Joß Steinke, Bereichsleiter Jugend und Wohlfahrtspflege des Bundesverbands des Deutschen Rotem Kreuzes spricht im Interview über die Probleme, vor die die Kürzungen die Freiwilligendienste stellen würden.

Im Bundeshaushalt drohen dem Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) ein Minus von 14 Prozent und dem Bundesfreiwilligendienst (BFD) eines von 11 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Insgesamt wären das 40 Millionen Euro weniger. Was würde das für die Freiwilligendienste bedeuten?

Joß Steinke: Das Geld wird uns natürlich fehlen. Die Freiwilligendienste sind sehr komplex organisiert und aus verschiedenen Töpfen finanziert - deswegen kann man so einfach gar nicht sagen, wie sich die Kürzung auf die angebotenen Plätze auswirkt. Was wir sagen können, ist, dass wir weniger Plätze anbieten werden können als in den Vorjahren. Sehr wahrscheinlich in höherem Umfang als die Budgetkürzung. Zu bedenken sind nämlich auch die erheblichen Kostensteigerungen der vergangenen Jahre. Das Budget müsste also für eine gleichbleibende Anzahl von Stellen steigen.

Werden denn aktuell schon Stellen gekürzt?

Steinke: Davon ist auszugehen. Ich weiß, dass einige Träger Personal abbauen müssen.

Was genau bringt Ihnen FSJ und BFD? Ist es die Arbeitskraft der jungen Leute?

Steinke: Die Freiwilligen sind natürlich eine Unterstützung vor Ort, wobei sie selbst Unterstützung von Hauptamtlichen brauchen. Da kommt schließlich keine fertig ausgebildete Person, die man einfach losschicken kann. In erster Linie sollen die Freiwilligen etwas lernen und Erfahrungen sammeln, aber natürlich helfen sie auch bei unserer Arbeit. Das ist ja nicht falsch, und sonst würde der Dienst ja keine Freude machen.

"Die Dienste sind nicht dazu gedacht, neues Personal zu gewinnen"

Und es ist schon so, dass immer mehr Freiwillige in unterbesetzte Stationen oder Einrichtungen gelangen. Die zunehmende Belastung durch fehlendes Personal spüren alle, die mithelfen. Und da müssen wir stark hingucken. Das tun unsere Träger natürlich. Aber das Problem des Arbeitskräftemangels löst man nicht mit Freiwilligendienstleistenden, und man sollte es auch nicht versuchen.

Auch mittelfristig nicht? Es gibt ja einen gewissen Klebeeffekt, also dass junge Leute sich nach ihrem Dienst dafür entscheiden, in diesem Sektor zu bleiben. Wie viel Personal gewinnen Sie denn aus den Freiwilligendiensten pro Jahr?

Steinke: FSJ und BFD sind von uns gar nicht so sehr dazu gedacht, Personal zu gewinnen, das dann nach seinem Freiwilligendienst weiter im Rettungsdienst oder in der Pflege arbeitet. Natürlich gibt es das, dass Freiwillige sich nach ihrem Dienst entscheiden, beruflich im sozialen Sektor zu bleiben. Darüber freuen wir uns dann natürlich, aber ich kann nicht beziffern, wie viele das im Jahr sind.

"Menschen müssen Sorge und Pflege wieder mehr in die eigene Hand nehmen"

Wir sehen FSJ und BFD aber ohnehin mehr als Investition in die Zukunft der Gesellschaft. Ich glaube, dass die Freiwilligendienste sehr gut dazu geeignet sind, Menschen näherzubringen, sich um andere zu kümmern und sich einzubringen für die Gesellschaft. Einmal diese Erfahrungen zu machen, im sozialen Sektor mit angepackt zu haben, das ist sehr wertvoll. Es macht etwas mit den jungen Menschen - egal, wo sie später im Berufsleben landen.

Aber wenn Dienstleistende und Gesellschaft so profitieren, wäre dann nicht ein Pflichtdienst für alle die bessere Lösung als ein Freiwilligendienst nur für einige?

Steinke: Einen Wehr- und Zivildienst wie früher sehe ich organisatorisch nicht. Es fehlen Strukturen und Personal, um eine Musterung von mehr als 700.000 jungen Menschen im Jahr zu bewältigen. Ich würde mich da ansonsten nicht auf eine Pro-und-Kontra-Diskussion einlassen. Interessant ist aber, was hinter der Debatte um einen Pflichtdienst steckt. Nämlich die reale Sorge, dass Menschen stärker dazu bewegt werden müssen, Sorge und Pflege wieder selbst in die Hand zu nehmen. Denn das Niveau an sozialen Leistungen, an das wir uns alle gewöhnt haben, wird allein angesichts des Arbeitskräftemangels absehbar nicht mehr aufrechterhalten werden können. Und dazu gibt es einige Überlegungen.

Welche?

Steinke: Dass man zum Beispiel allen Schulabgängerinnen und -abgängern einen Brief schreibt und ihnen ein Angebot macht. Dann würden sich viele mit dem Freiwilligendienst auseinandersetzen und sich informieren. Wir als DRK können uns vorstellen, Peer-to-Peer-Beratung einzubinden - also Freiwillige erzählen potenziellen Freiwilligen. Das ließe sich digital umsetzen.

Wenn mehr Menschen Freiwilligendienste leisten würden, würde das aber auch mehr kosten. Haben Sie schon ausgerechnet, wie viel das wäre? Denn immerhin reden wir ja gerade über Kürzungen.

Steinke: Gehen wir davon aus: Alle werden angeschrieben, alle müssen sich bei unterschiedlichen Stellen informieren, also auch bei der Bundeswehr zum Beispiel. Und dann wäre da noch die Frage, wie hoch die Vergütung wäre. Wenn man ein Freiwilligengeld schaffen und dafür den Bafög-Satz anwenden würde, was aus unserer Sicht nötig ist, würde das die Attraktivität deutlich erhöhen. Wir beim DRK gehen für diesen Fall von 400.000 Freiwilligen pro Jahr aus. Das ganze System würde dann rund vier Milliarden Euro kosten. Andere Stellen rechnen mit 200.000 Freiwilligen pro Jahr und 2,7 Milliarden Euro.

Wir sind mit den Freiwilligendiensten an einem Punkt, an dem man sagen müsste, dass wir hier ein gutes System geschaffen haben, das für junge Menschen attraktiv ist, das sich für die Gesellschaft lohnt. Nun müsste man eigentlich überlegen, wie man in dieses System investiert. Das wird in diesem Haushalt nicht möglich sein. Aber wenn wir das System mit seinen Beschränkungen so weiterfahren, dann könnte es irgendwann kaputtgehen.