Ein Mann wird fünf Jahre lang ohne Anklage fern der Heimat gefangen gehalten. Ständig hagelt es Schläge und Tritte. Hinzu kommt die Isolationsfolter in einem permanent hell erleuchteten Raum, in dem er abwechselnd großer Hitze und bitterer Kälte ausgesetzt wird. Er soll endlich gestehen, dass er ein islamistischer Terrorist ist; aber es gibt nichts, was er hätte gestehen können. Stefan Schaller hat die Geschichte von Murat Kurnaz in seinem Debüt "Fünf Jahre Leben" (2013) erzählt. Der Film ist eine einzige Anklage gegen das schreiende Unrecht, das dem Deutschtürken aus Bremen widerfahren ist: Im Herbst 2001 ist der junge Mann nach Pakistan geflogen, um sich in einer Koranschule auf die Ehe vorzubereiten. Dort wurde er verhaftet und an die US-Armee ausgeliefert, die ihn schließlich ins Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba und somit ins juristische Niemandsland verlegte; der Einfluss der amerikanischen Gerichtsbarkeit ist auf die USA beschränkt. Im August 2006 wurde er endlich wieder freigelassen.
Andreas Dresen wollte den Stoff bereits 2008 verfilmen, aber er fand keinen befriedigenden Ansatz: "Alle Entwürfe verloren sich in trostloser Ausweglosigkeit." Das änderte sich, als er Rabiye Kurnaz kennenlernte, Murats Mutter, und auf der Stelle von ihrem Lebensmut und ihrem "sehr speziellen Humor" beeindruckt war; nun hatte er seine Hauptfigur gefunden. Die Idee, die Geschichte aus ihrer Sicht zu erzählen, wird allerdings noch übertroffen von der Wahl der Hauptdarstellerin. Die Komödiantin Meltem Kaptan, geboren in Gütersloh, spielt hier ihre erste Hauptrolle und macht das auf eine derart grandiose Weise, dass der dramatische Hintergrund der Handlung des Öfteren in Vergessenheit gerät.
"Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush" ist keine Komödie, aber immer wieder verblüffend witzig, weil Kaptan die Frau mit einer berückenden Mischung aus Herzlichkeit, Naivität und Witz verkörpert. Natürlich gibt es auch nachdenkliche und melancholische Momente, denn "Warten macht Hoffnung tot", aber über weite Strecken dominiert die unerschütterliche Zuversicht dieser Frau, die mit dem Herzen einer Löwin um ihren Sohn kämpft und sich auch von Rückschlägen nie unterkriegen lässt. Meltem Kaptan ist bei der Berlinale mit dem Silbernen Bären sowie später mit dem Deutschen Filmpreis als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet worden.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Auch Laila Stieler konnte mit dem Silbernen Bären für das Beste Drehbuch ihren vielen Ehrungen, darunter ein Grimme-Preis für "Die Polizistin" (2001) und der Deutsche Filmpreis für "Gundermann" (2019), eine weitere hinzufügen; "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush" ist bereits ihre siebte Zusammenarbeit mit Dresen. Eine besondere Herausforderung dürfte neben der Würze des Dramas mit unerwarteten Humoresken die Dreisprachigkeit des Drehbuchs gewesen sein, denn Familie Kurnaz wechselt bei ihren Gesprächen mitten im Satz vom Deutschen ins Türkische und umgekehrt; gerade die Dialoge zwischen Rabiye und ihrer Schwester (Sevda Polat) sind die reine Freude. Später, als Rabiye gemeinsam mit ihrem Anwalt nach Washington reist, kommt auch noch Englisch dazu.
Den Juristen verkörpert Alexander Scheer, der für Dresen auch schon die Titelfigur in "Gundermann" gespielt und dafür unter anderem den Deutschen Filmpreis bekommen hat. Eigentlich müsste der gebürtige Ost-Berliner, der unter anderem in dem TV-Zweiteiler "Gladbeck" (2018) den Geiselnehmer Dieter Degowski und in der Amazon-Serie "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" (2021) David Bowie verkörpert hat, längst ein Star sein. Dass er das nicht ist, hängt mit seinem Talent zusammen, wie ein Chamäleon derart in seinen Rollen aufzugehen, dass er darin regelrecht verschwindet.
Gegen die enorme Präsenz von Kaptan hat Scheer zwar keine Chance, aber das ist Teil der Rolle: Der schmale Menschenrechtsanwalt ist schon physisch ein völlig anderer Typ als seine extrovertierte Mandantin. Darin liegt der Reiz der gemeinsamen Szenen: Die beiden sind wie Herz und Verstand, und nur dank dieser hartnäckigen Kombination konnte es vermutlich gelingen, Murat Kurnaz schließlich freizubekommen. Während Rabiye selbstverständlich von der Unschuld ihres Sohnes überzeugt ist, geht es Bernhard Docke ums Prinzip. Ob die Vorwürfe gegen Kurnaz auf Tatsache beruhen, ist für ihn unerheblich, ihm geht es um Gerechtigkeit. Natürlich ist es von erheblicher Bedeutung für die positive Botschaft des Films, dass die beiden ihr Ziel schließlich tatsächlich erreichen: "Die Welt, so monolithisch sie auch erscheinen mag, ist veränderbar", sagt Dresen.