Beim Auftakt zur ZDF-Krimireihe "Schwarzach 23" ging’s 2015 um eine ganze Hand, im zweiten Film (2016) bloß noch um einen Finger. Ansonsten aber gibt es glücklicherweise keinerlei Einbußen: "Die Jagd nach dem Mordsfinger" ist erneut gleichermaßen ein großes Vergnügen wie auch ein verzwickter Krimi. Neben den vielen wunderbaren Einfällen von Autor Christian Jeltsch und den mitunter erfrischend bösen Dialogen machen vor allem die originellen Figuren und das großartige Ensemble den Reiz des Films aus.
Auf den ersten Blick sind die Germingers eine ganz normale Familie: Vater Franz (Friedrich von Thun) ist pensionierter Polizist und verfolgt mit großem Interesse, wie sich sein Sohn Franz junior (Maximilian Brückner) als Nachfolger schlägt. Tochter Anna (Marlene Morreis) ist zwar vorübergehend zur Streifenpolizistin degradiert, mischt aber selbstredend munter mit, als Franz einen Mordfall lösen soll: In der Nähe des Flughafens ist ein Mann erst mit einem Wagen überrollt und dann abgestochen worden. Die Ermittlungen stoßen jedoch alsbald an ihre Grenzen, denn der Wagen gehört einer Stiftung, die sich im Bundesbesitz befindet, aber offenbar eine getarnte Einrichtung des Geheimdiensts ist; prompt wird Franz zurückgepfiffen.
Oft sind die Fälle in Krimikomödien bloß Mittel zum Zweck, aber Jeltsch erzählt eine äußerst komplexe Geschichte, die außerdem dramaturgisch spannend ist, zumal ausgerechnet Franz senior seinem Sohn bei der Suche nach der Lösung im Weg steht: Der Titelfinger, der dem toten Unterkofer fehlt, befindet sich im Besitz des pensionierten Kommissars. Franz junior, der ohnehin ein gespanntes Verhältnis zum Vater hat, ist stinksauer; bis auch ihm ein Angebot gemacht wird, das er kaum ablehnen kann. Aber diese Reduktion des Inhalts wird der Handlung kaum gerecht; der Film entwickelt schon allein durch das Mit- und Gegeneinander der handelnden Personen eine enorme Dynamik.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Außerdem hat sich Jeltsch eine ganze Reihe von Nebenfiguren ausgedacht, die ebenfalls tatkräftig mitmischen, allen voran Unterkofers Tochter, die Franz umgehend den Kopf verdreht, weil Peri Baumeister die etwas durchgeknallte junge Frau als charmanten Wirbelwind verkörpert. Die Besetzung gerade auch kleinster Rollen ist ohnehin interessant und sorgt für ein Wiedersehen mit Schauspielern wie Wolfgang Fierek, Christoph Wackernagel und Simone Rethel. Sie spielen die Stammgäste des Lokals "Schickimicki", die den alten Zeiten nachtrauern, als sie Mitte der Achtziger gegen den Bau des neuen Münchener Flughafens im Erdinger Moos protestiert haben; Unterkofer (Harry Baer) gehörte ebenfalls zu dieser Runde. Zur nostalgischen Stimmung passt auch die Musikauswahl; der Film beginnt dank "Driver’s Seat" von Sniff ’n’ the Tears auch akustisch sehr dynamisch.
Endgültig herausragend wird "Die Jagd nach dem Mordsfinger" durch die entspannte Inszenierung von Matthias Tiefenbacher. Die gelegentlichen Visionen von Franz junior sind im Vergleich zum ersten Film allerdings stark reduziert worden; im Grunde beschränken sie sich auf einen tätowierten Adler, der davonfliegt. Trotzdem gibt es noch genug skurrile Einfälle, die Tiefenbacher mit souveräner Beiläufigkeit und ohne große Worte in die Handlung integriert, obwohl sie oft höchst verblüffend sind: Gerade noch schimpfte der Taxifahrer, der Unterkofer ins Erdinger Moos gebracht hatte, über die vielen "Kanaken", da fällt ihm ein solcher in Gestalt eines blinden Passagiers, der sich im Radkasten eines Flugzeugs versteckt hat, auf den Kopf.
Der auf Schurken abonnierte Robert Gallinowski spielt den Taxifahrer als Karikatur eines sächsischen Neonazis, dessen Gipskorsage dafür sorgt, dass sein rechter Arm im Hitlergruß erstarrt; dank Tiefenbachers Umsetzung ist der Gag im Film viel weniger plump, als er klingt. Und dann gönnen sich Buch und Regie noch eine erfrischende Bosheit: Im Kopf des Mannes entdecken die Ärzte einen Tumor, der auf dem Röntgenbild den Umrissen des "Deutschen Reichs" entspricht; nach dessen Entfernung ist der Patient auf wundersame Weise auch vom Nationalsozialismus geheilt.
Ähnlich originell ist die Konstruktion der Krimiebene, in der unter anderem "C46", mit Blut und letzter Kraft in die Handfläche gemalt, der pfiffige Hinweis auf die in einer Musikbox unter just dieser Kombination verborgene CD mit dem Vermächtnis des Toten ist. Das Drehbuch von Grimme-Preisträger Jeltsch ("Einer geht noch") zeichnet sich ohnehin durch eine besondere Liebe zum Detail aus; selbst Annas flüchtige Bettbekanntschaft gleich zu Beginn spielt am Ende noch mal eine bedeutende Rolle. Wie wichtig den Machern selbst kleinste Kleinigkeiten waren, zeigt die Besetzung von Max von Thun, der in einer nur wenige Sekunden langen Rückblende die Rolle seines Vaters in jungen Jahren spielt.