Im Oktober 1990 trafen die Duisburger Kommissare Schimanski und Thanner anlässlich der Wiedervereinigung auf die ostdeutschen "Polizeiruf"-Kollegen Fuchs und Grawe ("Unter Brüdern"). Im Jahr 2000, als die Reihe dreißig wurde, lösten Ballauf und Schenk aus Köln den Jubiläumsfall zusammen mit den Leipziger Kommissaren Ehrlicher und Kain ("Quartett in Leipzig"). In der tausendsten Folge, die wie die "Tatort"-Premiere am 29. November 1970 den Titel "Taxi nach Leipzig" (2016) trug, wurden Charlotte Lindholm aus Hannover und Klaus Borowski aus Kiel nach einer Polizeitagung Geiseln eines ehemaligen Elitesoldaten.
Vor vier Jahren ist der "Tatort" fünfzig geworden, und auch zu diesem Jubiläum hat sich die ARD etwas Besonderes einfallen lassen: Diesmal durften die Teams aus Dortmund und München kooperieren. Genau genommen sollte es "mussten" heißen, denn die Herren Leitmayr und Batic (Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec) sind nicht gerade begeistert über die halbseidenen Methoden ihres westfälischen Kollegen: Dank eines Tipps der italienischen Polizei weiß Faber (Jörg Hartmann), dass die kalabrische Mafia ein Lokal als Umschlagplatz für Drogen nutzt. Der Prolog ereignet sich allerdings in München: Bevor ein Flüchtling aus Kamerun, der sich nach der Ablehnung seines Asylantrags als Dealer durchgeschlagen hat, seiner Verletzung erliegt, kann er noch seinen Mörder beschreiben.
Es handelt sich um den international gesuchten Gangster Giuseppe Mauro, und der hat sich bei den Modicas eingenistet, jener Familie, die vor einigen Jahren von der Mafia eine halbe Million Euro bekommen hat, um ein Dortmunder Restaurant zu kaufen. Der zweiteilige Krimi – der SWR zeigt die allerdings deutlich weniger sehenswerte Fortsetzung im Anschluss – heißt "In der Familie". Der Titel lässt sich auf drei Arten deuten. Natürlich ist "Familie" eine Anspielung auf die Mafia, aber Autor Bernd Lange erzählt die Geschichte auch als familiäres Drama: Luca Modica (Beniamino Brogi) und seine deutsche Frau Juliane (Antje Traue) führten eine glückliche Ehe; bis Mauro auftauchte.
Der Landsmann, Verbrecher durch und durch, hat einen finsteren Einfluss auf Luca, dem das brave Alltagsleben mit Frau und Tochter plötzlich nicht mehr genügt. Als es in der Ehe kriselt und Luca seine Frau sogar schlägt, setzt Faber seine Kollegin Dalay (Aylin Tezel) auf Juliane an. Tatsächlich gewinnt die Kommissarin das Vertrauen der Frau, die sich wider Erwarten sogar mit Mikrofon und Sender ausstatten lässt. Das mag nicht sonderlich spektakulär klingen, aber Regie führte Dominik Graf, und der hat aus der im Grunde überschaubaren Geschichte einen intensiven Krimi gemacht.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Der besondere Reiz liegt dabei in der dritten Titelebene, denn das Dortmunder "Tatort"-Team mit dem älteren Duo Faber und Bönisch (Anna Schudt) sowie den jüngeren Dalay und Pawlak (Rick Okon) bildet in gewisser Weise ebenfalls eine Familie; und bei der kriselt es in praktisch jedem Film. Diesmal kommt es zum Krach zwischen Faber und Bönisch, weil der Hauptkommissar, formal der Chef der Abteilung, die Verkabelung von Juliane Modica hinter dem Rücken der Kollegin und ohne richterliche Genehmigung durchführt; prompt geht die Aktion auf denkbar tragische Weise schief. Den Kollegen aus München, die nach Dortmund gekommen sind, um Mauro zu verhaften, ist ohnehin höchst suspekt, was Faber treibt; ihre ironischen Kommentare sind die einzigen Momente der Entspannung in diesem düsteren Krimi, in dem das Dortmunder Team schließlich ein weiteres Gründungmitglied verliert.
Graf verzichtet in diesem Polizei- und Gangsterfilm weitgehend auf jene filmischen Manierismen, die in einigen seiner letzten Arbeiten mitunter deplatziert wirkten; wenn Kameramann Hendrik A. Kley beispielsweise einen jener abrupten Zooms, wie sie einst in jedem Italo-Western zu sehen waren, ins Gesicht von Luca Modica einsetzt, ist das inhaltlich völlig angebracht, weil der Mann beim Telefonat mit der "Familie" eine schockierende Anweisung erhält. Irritierend sind dagegen einige kurze experimentelle Ausreißer innerhalb der ansonsten vorzüglichen Musik des Komponistenduos Florian van Volxem und Sven Rossenbach. Der zweite Teil spielt in München. Hauptfigur ist nun die Tochter der ermordeten Frau, die mit ihrem Vater Luca und dem gesuchten Mörder Mauro nach München geflohen ist.
Sofia (Emma Preisendanz) hat jedoch keine Ahnung, dass Luca ihre Mutter getötet hat. Pia Strietmann hat die Fortsetzung mit einem komplett anderen Team inszeniert. Lange hat allerdings beide Drehbücher geschrieben. Über weite Strecken wirkt der Film jedoch nicht wie ein "Tatort", sondern wie ein Mafia-Krimi, in dem die Polizisten bloß hilflose Nebenfiguren sind.