Der Begriff "Cyberwar" klingt nach Science Fiction, ist aber längst Realität: Regelmäßig kapern aus Russland gesteuerte Hacker Betriebssysteme wichtiger deutscher Einrichtungen. Im Dezember 2020 starb eine Patientin nach einem Angriff auf die Düsseldorfer Uni-Klinik.
Die Idee zu ihrem Thriller "Die Whistleblowerin" hatten Regisseur Elmar Fischer und Holger Joos zwar schon einige Jahre zuvor, aber die Tragödie war eine Bestätigung für die Aktualität ihres Stoffs, den sie clever mit einem emotionalen Drama verknüpfen: Nach vielen Jahren meldet sich überraschend die einst spurlos verschwundene große Liebe von Werbefotograf Tom (Artjom Gilz). Er trifft die Russin und ihre kleine Tochter in Schweden.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Galina (Katharina Nesytowa) bittet ihn, den Kontakt zu seiner Schwester zu knüpfen. Friederike (Jennifer Ulrich) arbeitet fürs Auswärtige Amt und ist Koordinatorin des Krisenstabs, der sich derzeit mit einer kaum lösbaren Aufgabe konfrontiert sieht: Unbekannte haben sich ins Computersystem des Zentralklinikums Berlin gehackt; auf der Intensivstation ist ein Beatmungsgerät ausgefallen, der Patient ist verstorben.
Ein Vorfall dieser Art wäre vielleicht in den Griff zu bekommen, aber bald stellt sich raus, dass der Angriff ungleich umfangreicher ist: Die dreißig größten deutschen Krankenhäuser sind von einem kompletten Systemausfall bedroht. Im Tausch gegen die Codes, mit denen die Cyber-Attacke abgewehrt werden kann, verlangt Galina drei Millionen Euro und die Aufnahme ins Kronzeugenschutzprogramm.
Die Sache hat nur einen Haken: Friederike traut ihr nicht über den Weg; sie ist überzeugt, dass die Russin die Aktion im Auftrag des militärischen Geheimdienstes GRU eingefädelt hat und nach wie vor steuert.
Die Kombination aus Thriller und Liebesgeschichte (TV-Premiere war 2023) erweist sich als ungemein raffiniert, zumal die gegenseitigen Gefühle des Paars die Identifikation noch verstärken. Gleichzeitig sorgen Joos und Fischer dafür, dass stets ein gewisser Zweifel an der Sympathie nagt, indem sie kleine Verdachtsmomente einstreuen.
Der psychisch ohnehin labile Tom wird so zur hilflosen Figur in einem Spiel, dessen Regeln er nicht durchschaut, zumal er nicht mal der eigenen Schwester trauen kann. Für deren Chef (Christian Erdmann) steht die nationale Sicherheit an erster Stelle; Kollateralschäden lassen sich da nicht immer vermeiden, weshalb das Paar prompt in einen Hinterhalt gerät, den es nur knapp überlebt.
Dank der sorgfältigen Recherche wirkt der Film stellenweise wie die Rekonstruktion authentischer Ereignisse; gerade die Szenen im Auswärtigen Amt mit Vertretern des Staatsschutzes und des Verteidigungsministeriums führen anschaulich vor Augen, wie ein Krisenstab funktioniert.
Parallel dazu erzählen Joos und Fischer, die sich beim 2016 ausgestrahlten fesselnden Auftakt zur ARD-Reihe "Die Diplomatin" ("Das Botschaftsattentat") mit Natalia Wörner kennen und schätzen gelernt haben, wie sich Tom und Galina nach Deutschland durchschlagen: Weil er einen russischen Geheimdienstmitarbeiter über den Haufen gefahren hat, als der Mann Galina erschießen wollte, wird er nun von der schwedischen Polizei gesucht. Die Russen sind ebenfalls hinter den beiden her und zwingen Tom schließlich, eine furchtbare Entscheidung zu treffen.
Geschickt sorgt Fischer zwischendurch für Entspannung, indem er dem Liebespaar auf der Autofähre Richtung Polen einige unbeschwerte Momente gönnt. Dass Galinas Tochter umgehend Zutrauen zu ihm fasst, rundet die Szenen zu einer allerdings höchst fragilen quasifamiliären Idylle ab; die Rückkehr in die raue Realität ist umso heftiger.
Zu den auffälligsten Mitgliedern des rundum sehenswerten Ensembles gehört neben Clelia Sarto als kaufmännische Leiterin des Klinikums auch Aybi Era als Mitarbeiterin des Bundesamts für Sicherheit und Informationstechnik. Die gebürtige Berlinerin wird mehr und mehr zum ZDF-Gesicht, seit sie in der sympathischen "Herzkino"-Romanze "Alice im Weihnachtsland" (2021) ihre erste Hauptrolle spielte; seit 2022 ist sie auch Hauptdarstellerin der Krimiserie "Jenseits der Spree".
Die Arbeiten von Elmar Fischer sind ohnehin grundsätzlich sehenswert. Zuletzt hat das ZDF seinen Film "Eine riskante Entscheidung" (2022) gezeigt; in dem vielschichtigen Drama spielt Lisa Maria Potthoff die Chefin einer Pharmafirma, die zwischen dem Leben eines Kindes und dem Wohl des Unternehmens abwägen muss. Eins seiner bislang besten Werke war "Unterm Radar" (2015); der fesselnde Thriller mit Heino Ferch und Christiane Paul ist eine bittere Parabel auf die Willkür des Überwachungsstaates.