Er will sterben, sie ist eine Serienmörderin: Das passt; ein "perfect match", selbst wenn die Beziehung nicht von Dauer sein wird. Hätte Carsten Unger nicht mehr zu erzählen, wäre sein tragikomisches Drama mit dem rätselhaften Titel "Karigula – Monster der Liebe" bloß ein Kurzfilm geworden. Zumal der Autor und Regisseur seine beiden Hauptfiguren zunächst auf zwei Merkmale reduziert: Charly (Ben Becker) ist ein lebensmüder Clown, der das Publikum nach dem Tod seiner Frau nicht mehr zum Lachen bringen kann. Karla (Sabine Timoteo) hat bereits 17 Menschen auf dem Gewissen.
Als Metzgerin verfügt sie sowohl über das nötige Wissen wie auch über die entsprechenden Utensilien, um ihre Opfer erst ins Jenseits zu befördern und anschließend fachgerecht zu zerteilen. Die professionelle Arbeit nötigt sogar der angehenden Rechtsmedizinerin Rebecca (Saskia Rosendahl) Respekt ab. Während ihr Chef und der zuständige Ermittler (Farba Dieng) zweifelsfrei davon ausgehen, dass für die Mordserie ein Mann verantwortlich ist, hat die Doktorandin keinerlei Zweifel daran, dass der von den Medien als "der Fleischer" titulierte Täter eine Frau ist.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die Handlung ließe alle mögliche Erzählformen zu - einen Splatterfilm im Stil der Horrorreihe "Saw" ebenso wie eine bizarre Romanze, denn Unger, der abgesehen von seinem verschiedentlich ausgezeichneten Regiedebüt "Bastard" (2013) und einigen Kurzfilmen bislang nur als Autor tätigt war, hat sein Drehbuch um eine besondere Note ergänzt: Die Mörderin kann nur töten, wenn sie etwas für ihr Opfer empfindet.
Als Charly das erkennt, bleibt ihm bloß eine Möglichkeit: Es muss ihm gelingen, Karlas Zuneigung zu gewinnen; unversehens wandelt sich die anfängliche Groteske in eine Liebesgeschichte. Das klingt freundlicher, als "Karigula" tatsächlich ist: Im Gegensatz zu einigen der anderen Produktionen, die das ZDF im Rahmen seiner "Shooting Stars"-Reihe zeigt, ist der späte Sendetermin in diesem Fall völlig angebracht.
Der Film war zwar fürs Kino geplant, ist dort jedoch nie angekommen und hat daher auch keine FSK-Freigabe erhalten. Sie wäre wohl nicht zuletzt wegen des tiefschwarzen und zuweilen recht makabren Humors "ab 16" ausgefallen: Schon der Auftakt zeigt zwei auf bestürzend absurde Weise fehlschlagende und gerade deshalb komische Suizidversuche. Außerdem geht Karla einem ziemlich blutigen Handwerk nach.
Auf drastische Bilder hat Unger zwar verzichtet, aber viele Szenen setzen ein Kopfkino in Gang. Die Versicherung im Abspann, es seien keine Tiere zu Schaden gekommen, ist durchaus angebracht: Charly lässt sich von der Mörderin überreden, ihre Taten auf sich zu nehmen und ein Videogeständnis abzulegen. Damit er seine Rolle authentisch verkörpern kann, soll er das Töten lernen, was gleich zwei possierliche Kaninchen das Leben kostet.
"Karigula" ist eine Produktion der ZDF-Redaktion "Das kleine Fernsehspiel", das Budget dürfte entsprechend überschaubar gewesen sein, weshalb der Film überwiegend aus Innenaufnahmen besteht; die Handlung trägt sich größtenteils in Karlas Metzgerei und in den Räumen der Rechtsmedizin zu. Aus den beschränkten Mitteln hat Unger jedoch das Beste gemacht. Viele Bilder sind in satte Rottöne getaucht, rot wie Blut natürlich. Die Farbe findet sich in allerdings auch in anderen Schattierungen, etwa im Schaumwein (Rosé) oder in der Duschhaube, die Charly trägt, als Karla ihn in der Hotelwanne ertränken soll, nachdem der Versuch, ihn zu ersticken, komplett gescheitert ist; das Unterfangen wirkt wie ein aus dem Ruder gelaufener Liebesakt.
Unger verortet die Wurzeln seiner Geschichte in der "phantastischen Romantik", er betrachtet sie als "eine Anatomie der Liebe, wie wir sie so noch nicht gesehen haben". Dazu passt die Schrifttafel zum Auftakt: "Über alles hat der Mensch Gewalt, nur nicht über sein Herz." Eine filmische Klammer nimmt die Erkenntnis beim Wort: Sie zeigt einen Wasserbehälter, in dem ein Herz deponiert wird.
Auch darstellerisch ist "Karigula" interessant, obwohl beide Hauptfiguren gewissermaßen Masken tragen: Charly trägt die meiste Zeit ein geschminktes erstauntes Clownsgesicht, Karla wird von der mimisch ohnehin stets sparsamen Schweizerin Sabine Timoteo geradezu regungslos verkörpert. Als Karla angesichts einer morbiden Vorstellung Charlys im Kinderzirkus zum ersten Mal lacht, ist der Effekt umso größer. Ansonsten ist die Inszenierung eher unauffällig, die Kameraarbeit (Julian Atanassov) konzentriert sich auf die Mitwirkenden. Die abwechslungsreiche Musik (Martina Eisenreich, Johannes Rothenaicher) ist dafür umso präsenter und setzt immer wieder prägnante Akzente. Der Film steht bereits in der ZDF-Mediathek.