2011 hat das ZDF begonnen, die Bücher über die Fälle des Berliner Anwalts Joachim Vernau in loser Folge zu verfilmen; die Adaption besorgte die Autorin regelmäßig selbst, die Inszenierung übernahm Carlo Rola. Den Auftakt bildete im Januar 2012 "Das Kindermädchen", eine gelungene Mischung aus Sittengemälde, Krimi und Romanze. Anschließend entwickelte die Reihe jedoch eine ungute Tendenz; die weiteren Filme, "Die letzte Instanz" (2014), "Der Mann ohne Schatten" (2015) und "Die 7. Stunde" (2016), waren gewöhnliche TV-Krimis und lebten in erster Linie davon, dass es grundsätzlich Spaß macht, Jan Josef Liefers zuzuschauen; selbst er wenn er bloß mit einem Straßenkreuzer durch Havanna fährt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Mit "Totengebet" (TV-Premiere war 2019) hat die Reihe wieder zur Qualität des ersten Films zurückgefunden. Vernau verbringt diesmal zwar zu Fuß oder per Taxi viel Zeit in den Straßen von New York, aber die mit der typischen Neugier des Europäers gefilmten Szenen sind deutlich besser in die Handlung integriert. Die Geschichte ist ohnehin viel zu verzwickt, um Zeit für eine Stadtrundfahrt zu verschwenden. Die Ermittlungen führen den Anwalt erneut in die Vergangenheit, doch diesmal ist es seine eigene; und darin liegt der große Reiz der Geschichte. Chronologisch beginnt die Handlung mit dem Besuch einer jungen Mandantin: Die Amerikanerin Rachel Cohen (Mercedes Müller) hat auf dem Sterbebett ihres Vaters erfahren, dass sie als Baby adoptiert worden ist. Ihre Mutter Rebecca ist bereits kurz nach der Niederkunft gestorben; nun sucht Rachel ihren Erzeuger.
Rebecca war als junge Jurastudentin in Boston Mitglied einer Clique, zu der auch Vernau gehörte. Rachel ist überzeugt, dass einer der Männer, die offenbar alle in die schöne Kommilitonin verknallt waren, ihr Vater ist. Gemeinsam machen sich der Anwalt und seine Mandantin auf die Suche nach den Kandidaten, aber die Recherche steht unter keinem guten Stern. Irgendjemand scheint mit Gewalt verhindern zu wollen, dass das Rätsel gelöst wird, es kommt zu mehreren Todesfällen, und auch Vernau wird mit seinem Auto von der Straße abgedrängt. Mit den Folgen dieses Unfalls beginnt der Film, die Vorgeschichte wird in Form von Rückblenden erzählt: Vernau hat durch den Unfall seine Erinnerungen an die letzten acht Tage verloren; als er in einem New Yorker Krankenhaus zu sich kommt, hat er keine Ahnung, warum er nach Amerika geflogen ist.
"Totengebet" war der erste Vernau-Roman, den Schriftstellerin Herrmann nicht selbst adaptiert hat. Das Drehbuch stammt diesmal von André Georgi; der Autor hat zuletzt die Ermordung von Treuhandchef Rohwedder als spannenden Balance-Akt zwischen Realität und Fiktion geschildert ("Der Mordanschlag", ZDF). Nachfolger des 2016 verstorbenen Carlo Rola ist Josef Rusnak, der auch als Koautor geführt wird; seine letzten Arbeiten zuvor waren ein sehenswerter "Polizeiruf" aus Magdeburg ("Starke Schultern", 2018) sowie die vierte "Tel-Aviv-Krimi"-Episode ("Alte Freunde" (2018), anschließend hat er einige sehenswerte Beiträge zur ZDF-Krimireihe "Neben der Spur" gedreht. Der Regisseur hat gemeinsam mit Kameramann Ralf Noack ein interessantes ästhetisches Konzept für Licht und Farbgebung entwickelt.
Als Vernau gemeinsam mit Rachel eine Synagoge aufsucht, um dort seinen alten Freund Rudi (Gustav Peter Wöhler) zu treffen, ist das Gotteshaus in ein geradezu sakrales Licht getaucht. Kurz drauf ist Rudi tot, und Rachel steht unter Mordverdacht. Als es in Amerika einen weiteren Todesfall gibt, fragt sich auch Vernau, ob seine vermeintliche Tochter auf einem Rachefeldzug ist.
Einziger, aber nicht unerheblicher Malus neben der Verschwendung Stefanie Stappenbecks in der Nebenrolle als Vernaus Kanzleipartnerin ist die erneut misslungene Integration von Vernaus familiärem Hintergrund: Die Zwischenspiele mit seiner Mutter waren schon in "Der Mann ohne Schatten" völlig überflüssig. Die Liebelei von Hildegard Vernau (Elisabeth Schwarz) mit einem amerikanischen Trompeter (Friedrich Liechtenstein) hat immerhin den Vorteil, dass Mario Grigorov viel Jazz in seine Filmmusik integrieren kann. Unbefriedigend ist wie in fast allen Filmen über Deutsche im Ausland dagegen der Umgang mit der Sprache: Die Amerikaner beginnen Gespräche auf Englisch ("Excuse me, Sir") und fahren dann auf Deutsch fort. Glaubwürdig gelöst sind allein die Dialoge Vernaus mit Rachel, denn die war auf einer deutschen Schule. Davon abgesehen gehört Mercedes Müller ohnehin zu den Pluspunkten des Films, zumal sie die junge Frau angemessen sphinxhaft verkörpert.