Eine feste Bleibe am Kirchturm

Rohbau an der Thomaskirche
eva
Noch ist es nicht so weit: Das Häuschen an der Thomaskirche ist im Aufbau.
Studierende retten Refugium
Eine feste Bleibe am Kirchturm
Das Refugium im Stuttgarter Kaltental ist bald wieder bewohnbar. Studierende der Fakultät für Städtebau und Architektur planen und bauen, was das Zeug hält. Ein Klient der Wohnungsnotfallhilfe soll in das idyllisch anmutende Häuschen an der Thomaskirche einziehen, und die Studierenden haben etwas ganz Besonderes für ihn geplant.

Die Wohnlage ist gut: Ein Ein-Zimmer-Appartement mit Terrasse und kleinem Garten, ruhig gelegen, im grünen Stuttgarter Stadtteil Kaltental. Voraussichtlich Ende Oktober wird hier ein Mensch einziehen, der keine Chance auf dem Stuttgarter Wohnungsmarkt hat und von der Wohnungsnotfallhilfe der Evangelischen Gesellschaft (eva) betreut wird, die den Bau mit Spendengeldern finanziert. Denn die Mietpreise sind auch in Stuttgart für manchen unerschwinglich.

Der Glückliche bekommt jetzt eine feste Bleibe in einem Projekt, das den Stuttgartern schon lange als Refugium bekannt ist. Ein Holzhaus, das 1997 an der Kaltentaler Thomaskirche gebaut wurde, direkt unter dem Turm. Wasserschäden hatten dieses Häuschen vor einiger Zeit unbewohnbar gemacht. Die damalige Erbauerin, die Stiftung Nestwerk, ist inzwischen insolvent. Deshalb sprang die eva ein. "Die Instandsetzung dieses Häuschens hätte die Gemeinde finanziell nicht stemmen können", so Peter Gerecke, Leiter der Abteilung "Dienste für Menschen in Armut, Wohnungsnot und Migration".

Die eva hat für das Refugium eine ungewöhnliche Kooperation begonnen: Instandgesetzt und teilweise neu gebaut wird das Häuschen von Studierenden der Fakultät für Architektur und Stadtplanung an der Universität Stuttgart. Auch für sie und ihre Fakultät ist das Refugium ein Gewinn. Die 18 Studierenden bekommen Praxiserfahrung jenseits der Planungsarbeit an der Uni, sechs von ihnen machen ihre Bachelorarbeit im Zusammenhang mit dem Projekt, das einen Wohnraum bietet, eine Schlafkammer, ein Bad und eine Küchenzeile.

Eine Win-win Situation

"Für die Forschenden an der Fakultät ist dieses Projekt ein Reallabor", sagt Anja Thierfelder, wissenschaftliche Mitarbeiterin und zusammen mit Sascha Ritschel die Projektleiterin vor Ort. "Sonst kann es oft Jahre dauern, bis das aus Forschung generierte Wissen auf der Baustellstelle umsetzbar wird."

Beim Refugium-Projekt stand die Verwendung ökologischer Materialien und die Kreislaufwirtschaft im Fokus. "Das haben die Studierenden auch vehement eingefordert", sagt Thierfelder. Ganz im Sinne von Jens Ludloff, Professor mit dem Lehrstuhl für Nachhaltigkeit, Baukonstruktion und Entwerfen: "Wir reaktivieren den Standort wieder, aber mit dem Wissen, dass man heute mit Holz anders baut als in den 1990er Jahren." Damals wurden Hölzer mit gesundheitsschädlichen Holzschutzimprägnierungen versehen, heute wird der Holzschutz konstruktiv gelöst.  

Das weiß die Gruppe so genau, weil die Altmaterialen im Labor untersucht wurden. "Wir wollen aber nicht wieder Altlasten produzieren", sagt Jens Ludloff. Die Studierenden haben das Haus komplett entkernt, momentan steht nur das tragende Holzfachwerk. Den neuen Bewohner erwartet eine besonders wertvolle Umgebung. Intensiv haben die jungen Studierenden nach Möglichkeiten gesucht, den Ausbau schadstofffrei zu gestalten oder mit Wiederverwendung. So wird eine Treppe im Inneren aus Stampflehm gefertigt, aus Abbruchhäusern stammen zum Beispiel Lampen oder Lichtschalter. 

Das alles zu planen und zu bauen, ist ein Fulltime-Job. Die Studierenden und das Leitungs-Team sind täglich auf der Baustelle. "Auch in der Lehre ist Praxiserfahrung fundamental, dies geht aber nicht ohne wissenschaftliche Begleitung", sagt Ludloff. "Wir müssen das erworbene Wissen unmittelbar in die Praxis bringen, die Politik scheitert bisher daran."

Am 24. Juli feierten die Student:innen nun das Richtfest. Auch der künftige Bewohner war zugegen und schaute sich sein neues Zuhause an, in das er etwas später als geplant einziehen wird. Die Instandhaltung ist aufwendiger als gedacht. Obwohl sich die Studierenden ins Zeug gelegt haben und teilweise vom frühen Morgen bis spät in den Abend arbeiteten, wird es noch einige Wochen dauern bis das Haus bewohnbar ist. Es muss zum Beispiel vieles von Hand transportiert werden, die Baustelle ist nicht direkt mit einem Fahrzeug zugänglich.

Davon lässt sich die eva aber nicht schrecken. Peter Gerecke: "Wir sind bemüht, möglichst viel Wohnraum zu schaffen. Wenn sich eine Gelegenheit ergibt, würden wir das gerne weiter machen."