Mit Lineal und einem Cutter schneidet Pfarrer Jörg Seiter viele kleine Quadrate aus einem roten Stoff mit weißen Ankersymbolen. Dann legt er die exakt zugeschnittenen Stoffstücke in Form eines Kreuzes aneinander und näht sie mit der Nähmaschine zusammen.
Die Ausarbeitung erfolgt in Handarbeit. Mit der Hand zu nähen, brauche viel Geduld, erzählt Seiter, der evangelischer Gemeindepfarrer in Blankenloch (Kreis Karlsruhe) und begeisterter Quilter ist: "Dabei kann ich gut abschalten." Seine kräftigen Finger, die er zum Schutz mit Pflastern abklebt, lassen die dünne Nadel mit zierlichen Stichen durch den Stoff gleiten.
"Man lernt dabei Demut, weil man exakt arbeiten und sich disziplinieren muss." Deshalb sei Quilten für Mathematiker genau das richtige Hobby, erzählt Seiter, der zuerst Mathematik studierte und dann zur Theologie wechselte. Wichtiges Utensil sei eine Schneide-Unterlage und ein spezielles Lineal. Dass solche Handarbeiten oft als Frauensache gesehen werden, stört den Theologen nicht.
Das Quilten ist eine alte Nähtechnik, bei der Stoffreste verschiedener Größen, Farben und Formen zu einem grafischen Muster oder Bild zusammengenäht werden. Bekannt wurde die spezielle Technik Ende des 19. Jahrhunderts vor allem durch die Glaubensgemeinschaft der Amish People in den USA. Die Schauseite wird mit zwei weiteren Lagen verbunden, einer wärmenden Schicht aus Vliesstoff und einer schlichten Stoffunterseite. So wird daraus eine wärmende Decke.
Der Pfarrer näht gerne vor dem Fernseher, etwa beim Fußballgucken, erzählt er im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Manchmal bereite er beim Quilten auch einen Gottesdienst vor, indem er Stichpunkte vor sich an die Wand hänge. So könne er im Kopf die komplette Predigt ausarbeiten.
Angefangen hat der evangelische Theologe sein ungewöhnliches Hobby vor etwa 25 Jahren. "Ich wollte aus meinen alten, abgetragenen Jeans eine Tagesdecke machen", erinnert er sich. Dafür musste er zunächst die Hosen - und ein altes, blaugeblümtes Kleid seiner Frau - in viele große und kleine Quadrate schneiden und zusammennähen. Mittlerweile ist die geliebte Decke zerschlissen, Seiter will sie aufarbeiten.
Je kleiner die Stücke, desto länger dauert es. "Ganz wichtig, damit es passt: Man darf nicht die Nahtzugaben vergessen", mahnt der Quilt-Pfarrer mit Blick auf den Abstand zwischen Schnittkante und Naht. Etwa 30 Wandbehänge, außerdem Decken, Bettüberwürfe, Tischsets und Untersetzer hat er bisher genäht.
Seiter kreiert auch religiöse Motive etwa zu den Themen Glaube, Liebe, Hoffnung oder zu kirchlichen Festen wie Weihnachten, Passionszeit und Ostern. Stich für Stich arbeitet er die biblische Botschaft als Bild heraus und predigt dazu.
"Süchtig nach Stoff" aller Art ist auch die Braunschweigerin Silke Liersch. Ihr Hobby ist das künstlerische Quilten, bei dem sie immer wieder neue Techniken ausprobiert. Und sie hat auch schon Textilien für den Kirchenraum gestaltet, sogenannte Paramente. In den liturgischen Farben Weiß, Grün, Lila oder Rot verweisen sie am Altar, an der Kanzel oder am Lesepult auf verschiedene Zeiten im Kirchenjahr. Traditionell werden sie in Paramentenwerkstätten gewebt.
Für die Evangelisch-lutherische Kirchengemeinde St. Lukas zu Querum in Braunschweig habe sie Paramente in knalligen Farben entworfen, angepasst an das moderne Kirchengebäude, erklärt Liersch, die ihre Homepage patchwork-paramente nennt. Für die Evangelische Kirche Leichlingen im Rheinland habe sie dagegen Stoffe ausgewählt, die die Leuchtkraft der Bleiglasfenster des Gotteshauses widerspiegelten.
Neben Stücken, die aus vielen Stoffresten zusammengefügt werden, gibt es beim Quilten auch sogenannte Quilt-Panels, bei denen ein großes Stoffstück bereits mit einem Bild bedruckt ist. Sie seien nur auf den ersten Blick einfacher, erklärt Pfarrer Seiter und präsentiert seinen "Engelsquilt" in Natur- und Brauntönen: Jede einzelne Falte des Engelsgewands und die Flügel hat er mit Zierstichen aus Silber- und Goldfäden nachgearbeitet, damit sie plastisch erscheinen.
In der Quilt-Stickerei der Amish People in den USA hingegen ist es generell verpönt, bedruckte Stoffe zu verwenden. Muster entstehen bei ihnen nur durch verschiedene, jeweils einfarbige Stoffstücke. Traditionelle Quilt-Muster tragen biblische Namen wie Garten Eden, Jakobsleiter oder Stern von Bethlehem. Dabei wird in jedes Stück absichtlich ein Fehler genäht - mit der Begründung, dass nur Gott perfekt sei.