Serien haben gegenüber einem Spielfilm den großen Vorteil, dass die Hauptfiguren mehr Tiefe bekommen können. Darin liegt der Reiz von "Jenseits der Spree", der dritten Krimiserie nach "KDD" und "Blochin", in der Jürgen Vogel für das ZDF vor der Kamera stand. "KDD" (2007/10), vielfach preisgekrönt, war dank der für die damalige Zeit ungewohnten Erzählweise etwas Besonderes.
Dieses Niveau erreicht die neue Serie allerdings nicht, dafür ist die Inszenierung (Marcus Ulbricht, Neelesha Barthel) viel zu konventionell. Die jeweils in sich abgeschlossenen Kriminalfälle sind zwar durchaus interessant, leiden aber unter dem Manko vieler Produktionen dieser Art: Die halbwegs prominenten Gastschauspieler sind stets automatisch hauptverdächtig; und meistens zu Recht.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Sehenswert sind die vier Folgen, mit denen das "Zweite" die Serie 2021 gestartet hat, daher vor allem wegen der beiden zentralen Figuren, zumal das vierköpfige Drehbuchteam nur auf den ersten Blick die Erwartungen erfüllt: Das Duo besteht zwar aus einem erfahrenen Polizisten und einer deutlich jüngeren Kollegin, aber Robert Heffler arbeitet seit einer schweren Verletzung nur noch im Innendienst. Während TV-Kommissare in der Regel gar keine Zeit für eine Familie hätten, weil sie rund um die Uhr für ihren Beruf leben, pflegt der alleinerziehende Vater dreier Teenagertöchter pünktlich Feierabend zu machen.
Kay Freund (Seyneb Saleh) scheint dagegen kein Privatleben zu haben und ist des Öfteren entsprechend ungehalten, wenn Heffler sie einfach stehen lässt, weil er zum Kochen nach Hause muss. Diese Erzählstränge haben einen beinahe ähnlich hohen Stellenwert wie die Fälle und bereichern die Episoden um einige heitere Momente, weil die drei jungen Damen ihren Vater ganz schön auf Trab halten. Die entsprechenden Ereignisse mögen für sich genommen nicht weiter aufregend sein, bilden aber einen reizvollen Kontrast zur Krimiebene: Eben war Heffler noch auf Mördersuche, nun setzt er recht rabiat den neuen Freund seiner dreizehnjährigen Tochter (Bella Bading, unübersehbar die jüngere Schwester von Emma Bading) vor die Tür.
Natürlich profitiert Vogels Rolle von der Vorgeschichte: Die erste Folge beginnt mit einer Geiselnahme auf einem Ausflugsschiff. Weil unter den Fahrgästen auch Hefflers Tochter Carlotta (Lea Zoë Voss) ist, wartet der Polizist nicht wie befohlen auf Verstärkung, sondern befreit die Geiseln im Alleingang; dabei wird er angeschossen. Drei Jahre später arbeitet er als Disponent im beschaulichen Berliner Stadtteil Köpenick, vom Stadtzentrum aus betrachtet also jenseits der Spree. Seine Partnerin (Elisabeth Baulitz) aus dem Prolog ist mittlerweile befördert worden und bittet ihn um Hilfe: Als ihr das Personal ausgeht, soll Heffler ausnahmsweise bei einem Mordfall einspringen und eine aus zunächst nicht weiter erörterten Gründen nach Köpenick strafversetzte junge Kollegin unterstützen; selbstverständlich bleibt es nicht bei dieser einen Ausnahme. Dass Heffler grundsätzlich ohne Waffe unterwegs ist, sorgt selbstredend für einige schwierige Momente.
Dank des Privatlebens hat Vogel die deutlich komplexere Rolle. Die Drehbücher gleichen das aus, indem sie Kay Freund zur Führungsfigur bei den Ermittlungen machen: Sie ist die treibende Kraft des Duos, sie übernimmt die Vernehmungen. Außerdem versieht Seyneb Saleh, die ab der zweiten Staffel durch Aybi Era ersetzt worden ist, die junge Kommissarin mit ziemlich viel Selbstbewusstsein.
Dass die Schauspielerin dabei einige Male übers Ziel hinausschießt, ist eine Frage der Darstellerführung. Bei den Gästen wäre ebenfalls des Öfteren weniger manchmal mehr gewesen. Das kann allerdings auch mit den heutzutage äußerst knapp kalkulierten Budgets zusammenhängen: Wenn eine Serie nicht gerade ein Prestigeprojekt ist, gibt es keine Zeit für Proben. Deshalb ist auch der Thriller-Auftakt längst nicht so packend, wie er sein könnte: In einem guten Film hätte es viel mehr Perspektivwechsel gegeben. Oft sorgt ohnehin die Musik für mehr Dynamik, als die Bilder hergeben.
Auch deshalb entspricht die Serie über weite Strecken normaler Krimikost. Immerhin zeichnen sich die Geschichten alle durch überraschende Wendungen aus: Mal entpuppt sich der Mord an einem vermeintlichen afrikanischen Flüchtling als Familiendrama, mal wird aus der mutmaßlichen Ermordung einer Frau durch ihren Ex-Mann ein Fall von häuslicher Gewalt, wobei die Rollen gegen die Erwartungen verteilt sind. Dass Polizistin und Psychologin zuvor erklären müssen, was ein Femizid ist, und gleich auch die entsprechenden Statistiken parat haben, wirkt in der Umsetzung allerdings etwas ungelenk.