Der Schweiß läuft uns über den Rücken, während wir durch das Viertel Mokattam in Kairo laufen und auf eine wunderbar kühle, in den Felsen gehauene Kirche zusteuern. Das Gebiet wird immer noch "Mülldorf" genannt, weil es dort vor zwanzig Jahren eine große Mülldeponie gab und die Bewohner*innen den Müll sortierten. Heute ist von der Mülldeponie kaum noch etwas zu sehen. An ihrer Stelle gibt es nun Wohnhäuser und mehrere Felsenkirchen mit prächtigen, in die Wände gehauenen Kunstwerken, die Tourist*innenströme anziehen. Zwar ist Mokattam im Vergleich zu anderen Stadtteilen Kairos mittlerweile gentrifiziert, aber eine Mango ist dort immer noch günstiger als im touristischen Zentrum der Stadt.
Zwischen den Kirchen steht eine bescheidene Bude, ungefähr so groß wie ein Spielhäuschen. Das Schild davor weist darauf hin, dass der Tätowierer da ist. Girgis Gabriel Girgis verrichtet hier sein Lebenswerk: Er tätowiert Kreuze auf die Handgelenke koptischer Christ*innen. Ich möchte den berühmtesten Tätowierer Ägyptens treffen, weil es mir so fremd ist, dass das Symbol einer Religion an einer so sichtbaren Stelle auf die Haut gezeichnet wird.
Was bedeutet Mission heute? Das ist nicht leicht zu beantworten. Doch mission.de will genau das. Hier kommen Menschen zu Wort, die weltweit in Mission und Ökumene vernetzt und zuhause sind und etwas zu sagen haben. Ein Blog gibt Raum für pointierte Meinungen, aktuelle Themen und Beiträge zu laufenden Diskursen. mission.de ist eine Initiative evangelischer Missionswerke, Verbände und Kirchen unter dem Dach der Evangelischen Mission Weltweit (EMW).
Die Geschichte des Kreuztätowierens reicht bis in die Anfänge der christlichen Geschichte in Ägypten zurück. Als muslimische Soldaten Ägypten im 6. Jahrhundert eroberten, wurde das Kreuz für all diejenigen zur Pflicht, die sich weigerten, dem Christentum abzuschwören. Die Träger*innen des Kreuzzeichens mussten eine Religionssteuer zahlen. Der Status der ägyptischen Christ*innen hat im Laufe der Jahrhunderte viele Phasen erlebt, das Kreuz am Handgelenk erzählt von dieser wechselvollen Geschichte. "Das Kreuz symbolisiert die Macht Christi am Kreuz. Es spricht aber auch von Schmerz, Leid und Blut. Tätowierungen sind die Art und Weise, wie wir die Geschichte und die Tradition der Christ*innen in Ägypten weitergeben", sagt Girgis.
"So, jetzt bist du auch Christin"
Wenn ich das ägyptische Christentum mit einem Wort beschreiben müsste, würde ich es als verwurzelt bezeichnen. Vertreter*innen von Minderheitsreligionen tragen ihr Kreuz stolz und sichtbar auf ihrer Haut, weil es ein so zentraler Teil ihrer Identität ist. Die Kirche ist für sie ein zweites Zuhause, eine Familie, in der Freuden und Sorgen geteilt werden. Der Glaube wird nicht individualistisch ausgeübt, sondern in Gemeinschaft mit der gesamten Kirchenfamilie, die auch frühere Generationen mit einschließt.
"Das ist ein guter Grund, mich tätowieren zu lassen", sage ich und strecke Girgis mein Handgelenk hin. Die Tätowiermaschine ist selbstgebaut, auf der Fensterbank liegen eine Reihe von Stempeln mit weiteren Tätowiermotiven: Maria, Jesus am Kreuz, diverse größere Kreuze, St. Georg und der Drache. Erst tendiere ich zu einem größeren Motiv, aber am Ende entscheide ich mich für ein traditionelles koptisches Kreuz mit flachem Kopf. Während meiner Reise habe ich dieses Kreuz an den Handgelenken Dutzender Christ*innen gesehen, denen ich begegnet bin.
Das Tattoo ist für mich nicht das erste, noch nicht einmal das erste in Form eines Kreuzes. Dennoch hat es für mich eine besondere Bedeutung: Teil einer globalen Christ*innenheit zu sein, die die Versprechen der Bibel lebt und atmet, dafür stelle ich gerne ein Stück Haut zur Verfügung. Das Tätowieren selbst geht überraschend schnell, das Kreuz ist in wenigen Strichen gezeichnet, die Haut gereinigt, Pflaster darauf, fertig. "So, jetzt bist du auch Christin", sagt Girgis und grinst.
Ich drücke so viele Dinge mit meinem Aussehen aus. Indem ich gestrickte Pullover, Taschen oder Schals trage, kann ich zeigen, dass ich Handarbeiten mag. Meine Wanderschuhe erzählen von Outdoor-Aktivitäten. Slogans, mit denen ich etwas mitteilen will, kann ich auf T-Shirts drucken. Das Kreuz an meinem Handgelenk erzählt jetzt eine Geschichte darüber, zu wem ich gehöre.
evangelisch.de dankt der Evangelischen Mission Weltweit und mission.de für die inhaltliche Kooperation.