Ein Pfarrer suspendiert, eine Jugendgruppe zurückgetreten, die Kirchenvorstands-Wahl verschoben: Ein seit Jahren angestauter Konflikt hat fast zur Handlungsunfähigkeit der evangelischen Gemeinde Freimann im Münchner Norden geführt. Jetzt gibt es laut Auskunft der bayerischen Landeskirche Schritte in Richtung Zukunft: Ein Disziplinarverfahren prüft die Vorwürfe gegen den Pfarrer, ein "Expertenrat" der Gemeinde soll einen Neuanfang der Jugendarbeit anstoßen, und der Kirchenvorstand soll durch Nachbesetzungen wieder handlungsfähig werden. Begleitet wird die Gemeinde vom Amt für Jugendarbeit, dem Münchner Regionalbischof Thomas Prieto Peral und dem Dekan im Münchner Norden, Felix Reuter.
Im Zentrum des Konflikts steht nach Informationen des Evangelischen Pressedienstes (epd) die Gruppe "Jugendleiter Freimann" und der geschäftsführende Pfarrer Stefan S., der mittlerweile nicht mehr in der Gemeinde tätig ist. Gegen ihn hatten Jugendliche der Gemeinde im November 2023 nicht näher benannte Vorwürfe erhoben, die seither von den "kirchlichen Meldestellen" und den "zuständigen Juristen im Landeskirchenamt" geprüft würden, teilte ein Kirchensprecher auf Anfrage mit. Der Pfarrer selbst sei umgehend vom Dienst in Freimann suspendiert worden: "Die evangelische Kirche muss ein sicherer Ort für alle sein." Man gehe jedem Verdacht "konsequent nach". Wer die jüngsten Debatten um einen besseren Schutz vor sexualisierter Gewalt im Raum der Kirche im Hinterkopf hat, wird da hellhörig. Gleichzeitig betonte der Sprecher, dass bis zum Abschluss des Disziplinarverfahrens im Herbst 2024 die Unschuldsvermutung gelte.
Die Vorwürfe gegen den Pfarrer sind die Spitze eines Eisbergs, die volle Aufmerksamkeit benötigt in einer Zeit, in der Kirchenleute viel von Aufklärung und Präventionskonzepten sprechen. Darunter aber treibt ein Block angestauter Konflikte, der für die breite Öffentlichkeit weniger sichtbar ist, für ehrenamtlich arbeitende Gemeinden aber zum Stolperstein werden kann.
Jahrzehntelang scheint die Jugend in der Gemeinde Freimann weitgehend ungestört "ihr Ding" gemacht zu haben; Highlights waren - wie vielerorts - die regelmäßigen Kinder- und Jugend-Freizeiten. Doch seit rund zehn Jahren gab es wohl konzeptionelle Unstimmigkeiten zwischen Kirchenvorstand und Jugend. Der Vorwurf des Kirchenvorstands war laut Landeskirche: Die "Jugendleiter Freimann" würden neue Mitglieder nicht objektiv, sondern nach "fast ausschließlich subjektiven Maßstäben" auswählen. Das widerspreche den Werten von evangelischer Jugendarbeit, die "offen und divers" sein müsse. Um allen Jugendlichen, die nach der Konfirmation in Freimann nicht zum Zuge kamen, etwas anderes anzubieten, hätten Ehrenamtliche vor zehn Jahren eine zweite, offene Jugendgruppe gegründet - was bei den "etablierten Jugendleiterinnen und Jugendleitern" auf "massiven Widerstand" gestoßen sei, bis hin zur Zugangsverweigerung zu den Jugendräumen, sagte der Kirchensprecher.
Eine andere Erklärung für die verfahrene Situation nennen die Jugendlichen. Auf der Facebook-Seite der "Jugendleiter Freimann" findet sich ein Eintrag vom 26. Oktober 2023, in dem "die 41 Jugendleiter:innen" bekannt geben, ihr Ehrenamt "mit sofortiger Wirkung" niederzulegen. Die Entscheidung sei das Ergebnis "eines seit Jahren anhaltenden Konflikts mit unserem Gemeindepfarrer, welcher nun für uns auch psychisch nicht länger tragbar" gewesen sei. Der Konflikt habe in dem unangekündigten Austausch des Jugendraum-Schlosses und der Androhung von polizeilicher Räumung gegipfelt. Ein Eintrag vom April 2024 beklagt eine "künstlich geschaffene negative öffentliche Wahrnehmung der Jugendleiter". Man bleibe "regelmäßig vollkommen verständnislos zurück, wie mit den Jugendlichen umgegangen" werde, heißt es weiter. Eine aktuelle epd-Anfrage ließen die "Jugendleiter" unbeantwortet und verwiesen auf die Pressestelle der Landeskirche.
Die Fronten in Freimann sind verhärtet, auf beiden Seiten sitzen manche Verletzungen tief. Der Versuch einer Mediation scheiterte 2020; auch die danach folgenden Gespräche blieben ohne Ergebnis. Am Ende sorgte der Konflikt zwischen KV und Jugend dafür, dass die Handlungsfähigkeit der Gemeinde Freimann auf dem Spiel steht. Aus "persönlichen Gründen" hätten sieben von zwölf Kirchenvorstehern ihr Amt aufgegeben, teilt die Landeskirche mit. Zwei Stellen konnten durch Ersatzleute besetzt werden, jetzt ist das ehrenamtliche Gremium, das die Geschicke der Gemeinde leitet, mit sieben Stimmberechtigten gerade noch beschlussfähig. Die KV-Wahl, die bayernweit am 20. Oktober 2024 stattfindet, muss in Freimann verschoben werden: Aufgrund der Spannungen habe der Wahlausschuss den Wahlvorschlag nicht fristgerecht erstellen können.
Nun gibt es, zumindest aus Sicht der Landeskirche, erste Zeichen der Entspannung: Im Mai 2024 hätten sich die Beteiligten darauf geeinigt, einen "Expert:innen-Rat" für die Neukonzeption der Jugendarbeit einzusetzen. Er sei mit Vertretern des Kirchenvorstands und der Jugend besetzt und werde durch drei Fachleute vom Amt für Jugendarbeit begleitet. Der Austausch in der ersten Sitzung sei laut Landeskirche "konstruktiv und zukunftsorientiert" verlaufen.