TV-Tipp: "Herr und Frau Bulle: Abfall"

Fernseher vor gelbem Hintergrund
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2. Juli, 3sat, 20.15 Uhr:
TV-Tipp: "Herr und Frau Bulle: Abfall"
Schon die erste Szene sorgt für eine reizvolle Dissonanz, denn die Bilder signalisieren Thriller, aber der Dialog klingt nach Komödie: Kommissarin Yvonne Wills und ihr Kollege Kevin Lukowski wollen einem Mörder auflauern.

Sie reicht ihm einen Kaffee mit Karamellgeschmack, er beschwert sich: Kaffee mit Aroma beim Observieren, das sei wie Prosecco auf der Baustelle. Derweil entdeckt Yvonnes Mann Heiko aufgrund eines anonymen Hinweises in einem Grab eine Leiche mit drei Beinen. Als sich das Ehepaar im Morgengrauen zuhause trifft, nimmt sich Heiko, Fallanalytiker beim Berliner LKA,  Yvonnes Ermittlungen vor: Die Mordkommission sucht einen Mörder, der einen Mann zu Tode gefoltert hat. Über die Qualen des Opfers plaudert er jedoch in einem derart leutseligen Tonfall, als stelle er eine Liste mit Partygästen zusammen. 

Dieser Stil ist vermutlich nicht jedermanns Geschmack, bereitet aber großes Vergnügen. Axel Hildebrand hat auch die Drehbücher für die ersten beiden Filme der ZDF-Reihe "Herr und Frau Bulle"  geschrieben. Die Idee, eine knallharte Krimistory mit einem ironischen Touch zu versehen, mag nicht einzigartig sein, stellt im Rahmen der ZDF-Samstagskrimis (TV-Premiere war 2020) aber durchaus eine neue Farbe dar; erst recht, wenn das Paar (Johann von Bülow, Alice Dwyer) während der gemeinsamen Ermittlungen Beziehungsgespräche führt. Die Eheleute ermitteln erneut gemeinsam, denn Yvonnes Mördersuche und Heikos Leichenteile entpuppen sich als zwei Seiten desselben Falls. Auch diesmal sind die beiden wieder persönlich involviert. 

Im ersten Film ("Tod im Kiez", 2018) hatte Heiko zu seiner Verblüffung festgestellt, dass Yvonnes Verbindungen ins Milieu keineswegs nur beruflicher Natur waren, in "Totentanz" (2019) war ein guter Freund von ihm in eine Moderserie verwickelt. Nun geht es wieder um die Kommissarin: Ihre vor Jahren als Russlanddeutsche immigrierte Großtante Ekaterina (Marie-Lou Sellem) entpuppt sich nicht nur als Müllkaiserin von Berlin, sie hat auch Kontakte zu den führenden Köpfen der russischen Mafia. Die Friedhofsleiche war einst ein Konkurrent, der vor Jahren spurlos verschwunden ist. Dass Ekaterina den Mord in Auftrag gegeben hat, lässt sich allerdings nicht beweisen, und bei den jüngsten Entwicklungen ist sie ohnehin nicht Täterin, sondern Betroffene: Das Folteropfer war ihr Buchhalter, und als nächstes hatte es der Täter auf ihre Tochter (Nina Goceva) abgesehen; Yvonne hat das Mädchen offenbar im letzten Moment gerettet. 

Hildebrand hatte beim Entwurf der "Müllkaiserin" garantiert ebenso großen Spaß wie Marie-Lou Sellem bei ihrer Verkörperung. Die Frau erfüllt sämtliche Klischees: zu viel Pelz, zu viel PS, zu viel Schmuck, zu viel Akzent. Das hätte leicht schief gehen können, aber Sellem schafft es nicht zuletzt dank der kernigen Dialoge ("Glück ist was für Trottel") immer wieder, gerade noch die Kurve zu kriegen, sodass die Figur nicht zur Karikatur wird; von Ekaterinas Grandezza ganz zu schweigen. 

Fabian Möhrke ist nach Till Franzen und Uwe Janson der dritte Regisseur beim dritten Film und hat den Stil der Reihe perfektioniert. Für Spannung sorgt nicht nur in den Actionszenen die elektronische Musik von Andreas Koslik, der schon im ersten Film entscheidenden Anteil daran hatte, dass der Krimi keine Komödie war. Außergewöhnlich gut ist auch die Bildgestaltung durch Tim Kuhn. Der Kameramann hat gerade bei den Nachtaufnahmen innen wie außen sichtbar viel Zeit in die Lichtsetzung investiert. 

Möhrke hat nach seinem von der ZDF-Redaktion Das kleine Fernsehspiel koproduzierten Regiedebüt "Millionen" (2013) ausschließlich Serienfolgen ("Frau Jordan stellt gleich") und Kurzfilme gedreht. "Millionen" war ein sehenswertes Drama über einen Mann, der plötzlich Lottomillionär wird. Hauptdarsteller Andreas Döhler spielt in "Abfall" den als Rächer verdächtigten Sohn des ermordeten Konkurrenten. Ähnlich kleine, aber feine Rollen haben Fritzi Haberlandt als Kommissarin aus Brandenburg, die mit Yvonnes Tante noch eine alte Rechnung offen hat, sowie Samuel Finzi als BKA-Beamter. Beide Figuren sind zwar wichtig für die Geschichte, aber im Grunde überbesetzt. Die Mitwirkung der prominenten Gastdarsteller spricht allerdings sowohl für die Qualität des Drehbuchs wie auch für den guten Ruf Möhrkes. Abgesehen davon passt die Art, wie Fritzi seinen Part als verschrobener Polizist interpretiert, perfekt zum speziellen Humor dieses Films: Möhrke hat die von Hildebrand gern beiläufig eingestreuten Gags mit selbstbewusstem Understatement inszeniert.