Das hat sich längst geändert, gerade Reihen wie "Ella Schön", Nächste Ausfahrt Glück" oder zuletzt "Dr. Nice" erzählen mittlerweile auch ganz andere Geschichten. "Eine wie diese", heute von 3sat wiederholt, stammt jedoch aus dem Jahr 2015, und damals hat sich das "Zweite" nur alle paar Monate getraut, auf diesem konservativen Sendeplatz Geschichten zu erzählen, die völlig aus dem Rahmen fielen. Deshalb konnte Titelheldin Siggi Thieme als Vorbild sowohl für die Zuschauerinnen wie auch für den Sender gelten: weil die junge Frau in erster Linie berufliche Erfüllung sucht und sogar bereit ist, dafür ihre Beziehung zu opfern.
Der Film spielt 1974 in Bremen. Siggi (Cornelia Gröschel) ist Sekretärin, will aber nicht als "Tippse" versauern und bewirbt sich bei der Polizei, um Kriminalkommissarin zu werden. Diese Welt ist bis dahin ausschließlich Männern vorbehalten. Entsprechend groß sind die Ressentiments, die sie überwinden muss: bei der Ausbildung, im Revier und vor allem bei den eigenen Eltern. Vater Friedrich (Peter Heinrich Brix), selbst Polizist, ist überzeugt, der Job sei nichts für Frauen, Mutter Hilde (Steffi Kühnert) findet, Siggi sollte lieber ihren Freund Jürgen (Marlon Kittel) heiraten und Kinder kriegen. Als Jürgen ihr tatsächlich ein Kind "anhängen" will und sie ihm klar macht, dass der Beruf ihr wichtiger ist, zerbricht die Beziehung.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das Drehbuch stammt von Meriko Gehrmann. Die Autorin hat zuvor vor allem für Serien wie "Soko Köln" und "Kommissar Stolberg" geschrieben (Mitarbeit dort wie hier: Arne Laser); "Eine wie diese" war ihr erster Langfilm und nicht zuletzt dank der Umsetzung durch Franziska Buch ein Stoff, der auch die in der Regel ungleich anspruchsvolleren Filmtermine am Montag im ZDF oder am Mittwoch im "Ersten" schmücken würde. Die Bilder sehen gerade zu Beginn aus wie ein Werk aus den Siebzigern (Kamera: Konstantin Kröning), die Ausstattung (Olivier Meidinger) hat liebevolle Details aus jenen Jahren zusammengetragen, und Songs von Jimi Hendrix bis zu den Doors sorgen für das passende Lebensgefühl, zumal auch die Filmmusik (Ulrich Reuter) den typischen Stil der Zeit aufgegriffen hat.
Endgültig sehenswert aber wird "Eine wie diese" durch Cornelia Gröschel. Die Hauptdarstellerin des preisgekrönten ZDF-Märchens "Die Schöne und das Biest" (2012) war zur Zeit der TV-Premiere dieses Films noch weitgehend unbekannt, aber spätestens jetzt war klar, dass sie sich als eine der herausragenden jungen deutschen Schauspielerinnen etablieren würde; einige Jahre übernahm sie die zweite weibliche Hauptrolle als Mitglied des Dresdener "Tatort"-Ensembles (seit 2019). Natürlich hat Meriko Gehrmann ihr auch eine tolle Rolle geschrieben: Siggi ist zwar Jahrgangsbeste, aber weder Emanze noch Superheldin, sondern bloß eine Frau, die weiß, was sie will. Selbst wenn sie auch mal heulend am liebsten alles hinschmeißen würde: Letztlich lässt sie sich von ihren Zielen nicht abbringen, obwohl sie alle nur denkbaren Widerstände überwinden muss. Manches mag dabei antiquiert anmuten, etwa der offene Sexismus der Männer oder die Haltung der Mutter; aber zumindest unterschwellig stellt der Film auch die Frage, ob sich wirklich so viel geändert hat.
Um Gröschel herum haben Sender, Produktion und Regie ein nicht minder sehenswertes Ensemble gruppiert. Die Figuren stehen für jeweils eigene Erzählstränge, die ungemein zur Komplexität der Geschichte beitragen, weil sie den Zeitgeist repräsentieren: Florian Stetter als Siggis Chef, genannt "Serpico", der nichts von festen Beziehungen hält, Janina Stopper als junge Prostituierte und Max von Thun als ihr charismatischer Zuhälter, den Siggi unbedingt zur Strecke bringen will, Karoline Teska als ihre beste Freundin, die ihr Obdach gewährt, als sie sich mit den Eltern überwirft, und Tino Mewes als weiteres WG-Mitglied, das die Arbeiter zur Revolution bewegen will.
Mitunter fallen typische Sätze, die ein wenig so klingen, als habe Gehrmann sie unterbringen müssen, weil sie in einem Siebzigerfilm einfach vorkommen müssen ("Geh doch nach drüben", "Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst..."), aber das stört nicht weiter. Ein ansonsten rundum gelungenes Werk, das keineswegs nur dramatisch, sondern auch witzig, romantisch und spannend ist und vor allem eine großartige Heldin zu bieten hat. Produziert wurde "Eine wie diese" übrigens von Ziegler Film, jenem Unternehmen, das dank einer Vielzahl von Schmonzetten mit Christine Neubauer jahrelang ein äußerst konservatives Frauenbild propagiert hat.