"Bundeswehr wird keinen Mangel an Nachwuchs haben"

EKD-Militärbischof Bernhard Felmberg
Militärseelsorge/Walter Linkmann
Bernhard Felmberg ist evangelischer Bischof für die Seelsorge in der deutschen Bundeswehr.
EKD-Militärbischof zu Wehrdienst
"Bundeswehr wird keinen Mangel an Nachwuchs haben"
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat am Mittwoch (12. Juni) seine Pläne für eine neue Form des Wehrdienstes vorgestellt. Der EKD-Militärbischof Bernhard Felmberg spricht mit evangelisch.de-Redakteurin Katrin von Bechtolsheim über das Pistorius-Modell und auf welche Situation dieses bei der Bundeswehr trifft. Felmberg sagt: "Auch wir als Kirche dürfen das Thema der Verteidigung und Sicherheit unseres Landes nicht tabuisieren."

Nach Angaben von Boris Pistorius werden jährlich etwa 400.000 Männer 18 Jahre alt. Diese sollen angeschrieben werden und verpflichtend einen Fragebogen über die innere Einstellung zur Bundeswehr ausfüllen müssen. Pistorius geht davon aus, dass ein Viertel der jungen Männer Interesse hat, zur Bundeswehr zu gehen. Wer ausgewählt wird, muss dann zur Musterung.

evangelisch.de: Herr Felmberg, Sie sind seit dreieinhalb Jahren evangelischer Bischof für die Seelsorge in der deutschen Bundeswehr. Mit welcher Situation müssen Soldatinnen und Soldaten sowie die Militärseelsorge heute umgehen?

Bernhard Felmberg: Wir haben seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine eine ernste Lage. Den Soldatinnen und Soldaten ist bewusst, dass sie im schlimmsten Fall unser Land, unsere Demokratie, unsere Freiheit mit dem Einsatz ihres eigenen Lebens bezahlen müssen. Ich erlebe die Soldatinnen und Soldaten als sehr konzentriert. Es wird das geübt, was im Ernstfall zur Anwendung käme. Die Anfragen an die Seelsorge sind gestiegen. 

Auch Soldaten haben Familie. Wir stehen an ihrer Seite. Gerade die Kinder brauchen unsere Aufmerksamkeit. Wir haben Formate entwickelt, wie wir mit Kindern über den Beruf der Eltern und über den Krieg ins Gespräch kommen. Durch unsere Arbeit wollen wir diese Kinder lebenstüchtig machen. Aber wir gehen natürlich auch dorthin, wo die Soldatinnen und Soldaten hingehen: in die Übungen im In- und Ausland ebenso wie in die Auslandseinsätze.

Gerade planen wir, wie wir die Brigade, die 2026 nach Litauen gehen soll, mit unseren kirchlichen Strukturen dort unterstützen können. Wir wollen dafür sorgen, dass Soldatenfamilien wissen, wohin sie ihre Kinder in Kindertagesstätten und Schulen schicken können.

Haben die Sorgen bei den Soldatinnen und Soldaten zugenommen?

Felmberg: Ja. Die Soldatinnen und Soldaten wissen, dass das Thema Landes- und Bündnisverteidigung sie sehr konkret fordert.

"Ich glaube, es gibt genug junge Menschen, die Interesse an der Bundeswehr haben."

Nach dem Vorstoß von Pistorius: Wie schätzen Sie die Resilienz der 18-Jährigen ein? Das Interesse an der Bundeswehr geht doch nach neuesten Erhebungen zurück?

Felmberg: Ich weiß nicht, ob das Interesse zurück geht. Letztlich haben wir in Deutschland einfach weniger junge Menschen. Ob in der Bundeswehr, in der Kirche oder in anderen Bereichen: Überall fehlt der Nachwuchs. Ich erlebe viele junge Männer und Frauen in der Bundeswehr, die bereit sind, sich für ihr Land einzusetzen. Durch die von Bundesminister Pistorius geplante Wehrerfassung sollen 5000 zusätzliche Soldatinnen und Soldaten im Jahr in der Bundeswehr ausgebildet werden. Ich glaube, es gibt genug junge Menschen, die Interesse an der Bundeswehr haben. Aber es ist klar, dass wir es mit einem Paradigmenwechsel zu tun haben: Junge Männer werden verpflichtend, junge Frauen freiwillig gefragt, ob sie den Dienst in der Bundeswehr antreten wollen, ob sie sich dazu in der Verfassung sehen. Jeder muss sich mit diesem Thema beschäftigen.

Die Frage, wie die Sicherheit und die Freiheit auch künftig erhalten bleiben, muss sich jeder Bürger unseres Landes stellen. Wenn Russland die Nato angreifen sollte, was Gott verhüten möge, dann geht es um unsere Demokratie. Wir haben gerade 75 Jahre Grundgesetz gefeiert und es ist klar, dass eine Demokratie nach innen und nach außen verteidigt werden muss. Das wissen wir in Deutschland sehr genau.

"Jeder und jede in unserem Land muss sich darüber Gedanken machen."

Wie kann man junge Menschen für ein Engagement bei der Bundewehr begeistern?

Felmberg: Wenn junge Männer und Frauen die Sinnhaftigkeit ihres Dienstes in der Bundeswehr erkennen, wenn sie erfahren, wie notwendig es für unsere Gesellschaft ist, unsere Werte zu verteidigen, dann wird die Bundeswehr in Zukunft keinen Mangel an Nachwuchs haben. Die Wehrerfassung anhand eines Fragebogens wird deutlich machen, welche Haltung die jungen Männer und Frauen zur Bundeswehr haben.

Jeder und jede in unserem Land muss sich darüber Gedanken machen. Ich will der jungen Generation nicht unterstellen, dass sie keine Verantwortung übernehmen will. Ich glaube, junge Menschen, die die Freiheiten und Möglichkeiten von Demokratie erleben, die werden sich vorstellen können, wie es ist, wenn man diese nicht hat. Und was man selber einzusetzen bereit ist, um Demokratie und Freiheit zu verteidigen. Das ist die Motivation.

Auch wir als Kirche dürfen das Thema der Verteidigung und Sicherheit unseres Landes nicht tabuisieren.

Wie steht die EKD zur Wehrpflicht?

Felmberg: Die Wehrpflicht ist in unserem Grundgesetz in Artikel 12 verankert. Seit 2011 ist sie ausgesetzt. Ihre Wiedereinsetzung steht nicht zur Debatte.

Wie sind Sie in der Militärseelsorge auf künftige Veränderungen vorbereitet?

Felmberg: Der Bundesminister der Verteidigung hat klar gesagt, dass es der Bundeswehr derzeit nicht möglich ist, mehr als 5000 Soldaten pro Jahr auszubilden. Als Militärseelsorge sind wir gut auf die zu erwartenden 5000 Soldatinnen und Soldaten vorbereitet. Das können wir mit der jetzigen Kapazität ordentlich abdecken. Sollten es im Laufe der Jahre mehr werden, müssen wir unsere personelle Situation anpassen. Unsere Militärseelsorge hat bei den Soldatinnen und Soldaten einen hohen Stellenwert. 

Im Auslandseinsatz liegt die Zustimmungsrate zur Militärseelsorge bei 96 Prozent, im Inland bei 91 Prozent. Die Militärseelsorge erreicht damit nicht nur Christen, sondern auch Menschen anderer Glaubensrichtungen und auch diejenigen, denen das Vertrauen auf Gott fremd ist. 

Die Soldatinnen und Soldaten wissen, dass wir nicht in die militärische Hierarchie eingebunden sind und dass alles, was ausgesprochen wird, dem Beichtgeheimnis unterliegt. Wir schaffen es auch weiterhin, unsere Soldatinnen und Soldaten zu begleiten, zu motivieren und zu orientieren und immer wieder das Wort Gottes weitergeben.