TV-Tipp: "Wo wir sind, ist oben"

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14. Juni, ARD, 23.50 Uhr
TV-Tipp: "Wo wir sind, ist oben"
Die Bezeichnung "Politikkontaktarbeit" klingt seriös und nicht gerade aufregend. Auch das englische Pendant "Public Affairs" kaschiert, was sich hinter den beiden Begrifflichkeiten verbirgt: Es geht um Lobbyismus, also um die Einflussnahme mächtiger Interessenvertretungen auf politische Entscheidungen; und daher im Zweifelsfall um Milliarden, wenn zum Beispiel ganze Industriezweige betroffen sind.

Kein Wunder, dass sich in den Zentren der Macht unzählige Menschen tummeln, die dafür bezahlt werden, an den richtigen Strippen zu ziehen, um die öffentliche Meinung oder das Abstimmungsverhalten von Abgeordneten zu beeinflussen. Diese Leute, das legt zumindest die Serie "Wo wir sind, ist oben" nahe, sind wie Söldner: weder auf der Seite des Guten noch des Bösen, sondern immer dort, wo es mehr Geld gibt. Heute engagieren sie sich für weniger Hormone in den Gewässern, morgen für den Abriss eines Dorfes im Lausitzer Kohlerevier. 

Das wirkt erst mal nicht wie ein Komödienstoff, aber die achtteilige Serie knüpft auf geradezu vorbildliche Weise an die Hollywood-Tradition der "Screwball Comedy" an: Schon allein die von Christian Jeltsch und seinem Drehbuchteam mit großer Formulierungsfreude verfassten Dialoge sind ein Fest. Das zentrale Duo ist ähnlich preiswürdig. Mit Nilam Farooq, seit ihrer Hauptrolle in Sönke Wortmanns Komödie "Contra" (2021, am 15. Juli im "Ersten") auf dem Weg zum Topstar, und Helgi Schmid sind die beiden Rollen ausgezeichnet besetzt: Der gleichermaßen charmante wie skrupellose Max Lentor arbeitet für die Berliner Agentur ABC, Valerie Hazard soll die Hauptstadtfiliale der Konkurrenz von Pegasus zur Nummer eins des Metiers machen. Fortan agieren und agitieren die beiden permanent auf unterschiedlichen Seiten.

Das klingt nach romantischer Komödie, aber die Aufklärung über die Macht von Bildern, Symbolen und alternativen Fakten ("Wahrheit ist, was die Leute glauben") sowie der Kampf um die Deutungshoheit tragen eine Menge zur Medien- und Politikkompetenz bei. Die jeweiligen Themen sind zudem weit mehr als bloß ein Vorwand für das Privatduell, selbst wenn die Auseinandersetzungen wie ein Boxkampf gestaltet sind: Mal gewinnt Max eine Runde, mal Valerie. Dabei schmieden die beiden immer wieder neue und zum Teil ungewöhnliche Allianzen; beim Streit um die Hormone ziehen plötzlich Pharmaindustrie und Feministinnen an einem Strang. Natürlich greifen die mit allen Abwassern gewaschenen Profis auch zu unlauteren Mitteln, eine Leiche findet sich schließlich in jedem Keller. Wie das Metier funktioniert, erläutert Max’ Mentorin mit Hilfe eines einst von Henry Kissinger als Anekdote zum Besten gegebenen Beispiels für Pendeldiplomatie. Als Valerie pro bono die strategische Planung der Bürgerinitiative im Tagebaugebiet übernimmt, während ABC den Braunkohleverband vertritt, macht sie Max’ kleine Schwester (Valerie Stoll) kurzerhand zum Gesicht des Widerstands. 

Viel Vergnügen bereiten neben Ideen wie etwa dem kleinwagengroßen Thinktank, in dem der ABC-Chef (Jan-Gregor Kremp) zur Entspannung klassische bundesdeutsche Reden hört, auch die diversen Anspielungen, die nicht alle so offenkundig sind wie ein Heiterkeitsausbruch zur falschen Zeit oder das "Café Albert", in dem sich die Mächtigen und ihre Hofschranzen gern treffen. Mediales Sprachrohr von Max ist "MachTV", der Fernsehsender einer großen Verlagsgruppe; Maximilian Grill verkörpert den Moderator mit viel Freude am populistischen Detail. Im Politbetrieb der Serie lassen sich ebenfalls einige Vorbilder erkennen; zwischendurch gibt es zudem einen Hauch von Watergate. Trotz des innerhalb der Serie wiederholt geäußerten Vorwurfs, Lobbyismus untergrabe die Demokratie, ist Jeltsch und seinem Team das Kunststück gelungen, die Figuren nicht restlos zu desavouieren; Max und Valerie sind sogar ausgesprochen sympathisch. Bei ihm liegt das auch an der Vorgeschichte: Er stammt aus ebenjenem Dorf, das er nun platt machen lassen will; die späte Rache für ein vermeintlich vom tyrannischen Vater (Thorsten Merten) verursachtes Jugendtrauma. Außerdem muss er sich der Intrigen eines internen Konkurrenten (Johannes Allmayer) erwehren. 

Die Besetzung ist exzellent, auch die weniger bekannten Mitwirkenden machen ihre Sache ausgezeichnet. Filmisch bewegt sich die Serie zudem auf hohem Niveau (Regie: Wolfgang Groos, Matthias Koßmehl). Der Sendetermin um 23.50 Uhr (die ARD zeigt alle Folgen am Stück) ist daher aus Sicht all’ jener, die keine Mediatheken nutzen, sehr bedauerlich, zumal es sich wahrlich nicht um ein Angebot für Minderheiten handelt.