evangelisch.de: Herr Braun, wie kann man sich so einen Quereinstieg vorstellen?
Benjamin Braun: Das Vikariat und zweite Examen, das muss man auf jeden Fall machen, das bleibt gleich. Aber der Weg zum ersten Examen wird abgekürzt, wenn man bereits einen Bachelor hat, also aufweisen kann, dass man akademisch arbeiten kann und mindestens fünf Jahre Berufserfahrung hat in seinem "alten" Job. Dann gibt es noch eine Eignungsprüfung, in der man einen theologischen Aufsatz schreiben muss sowie eine Bibelkundeprüfung.
Es wird sozusagen vorselektiert und geschaut, dass man schon ein gewisses
Niveau hat und auch das theologische Interesse besteht, eine Art Vorbildung – auch wenn nur hobbymäßig. Von fast 70 Bewerbern, die sich in Marburg beworben hatten, waren wir dann am Ende ungefähr 25. Das war ein sehr anspruchsvolles Niveau.
Sie selbst sind Lehrer. Aus welchen anderen Berufen und Bereichen kamen ihre Kommilitonen?
Braun: Das war wirklich interessant! Da waren ganz viele Juristen dabei, die diesen Weg beschreiten wollten. Aber auch andere kluge Leute wie beispielsweise eine Psychologin, die natürlich ideale Voraussetzung für den Pfarrberuf mitbringt. Wenn sie den Menschen jetzt im christlich-kirchlichen Kontext zuhört, ist sie sicher eine großartige Seelsorgerin. Die Quereinsteiger sind zum größten Teil Menschen aus der zweiten Lebenshälfte. Ich war mit meinen 36 Jahren einer der Jüngeren. Das Durchschnittsalter lag so um die 40 Jahre.
Da wird die Frage des Berufs nochmal relevant, da man ja bereits Erfahrungen im "ersten" Beruf gesammelt hat. Ich glaube, da geht man ganz anders an das Studium heran als wenn man frisch vom Abitur kommt. Man hat andere Lebensvorstellungen und Erfahrungen als Abiturienten. Es geht hierbei nicht nur darum, was man verdient. Es geht vielmehr darum, dass man einen Beruf ausüben möchte, der einem am Herzen liegt. Gerade deswegen hat mir das Studium so viel Spaß gemacht.
Wie haben Sie Ihren Quereinstieg erlebt?
Braun: Ich bin bis zum Ende des Studiums an der Schule geblieben, denn es handelt sich ja um einen berufsbegleitenden dreijährigen Masterstudiengang. Diese Doppelbelastung war manchmal schon anstrengend, aber es war total spannend, ganz neue Inhalte zu lernen. Bis zum Schluss bin ich super gerne Lehrer gewesen, das hat mir total viel Freude und Spaß gemacht.
"In den 90ern wäre das anders gewesen. Heute ist die Kirchenkultur offener geworden."
Ich hatte aus rein persönlichem Interesse studiert und wusste anfangs auch nicht, ob ich den Pfarrberuf ausüben wollte. Aber während des Studiums habe ich mir überlegt, dass ich auf jeden Fall weiter mit Menschen arbeiten möchte. Das liegt mir irgendwie im Blut, deswegen bin ich damals auch Lehrer geworden.
Als ich dies Herrn Arends, unserem leitenden Geistlichen in der Lippischen Landeskirche, erzählt habe, hat er mich ermutigt, Pfarrer zu werden. Natürlich gab es da ein paar rechtliche Dinge, die vorher zu klären waren. Aber die Kirche war bereit, sich auf diesen neuen Ausbildungsweg einzulassen. Ich glaube, in den 90ern wäre das anders gewesen. Aber heute herrscht in vielen Gemeinden ein Mangel an Pfarrern und die Kirchenkultur ist offener geworden, so dass mir alle Türen offenstanden.
Was waren oder sind die größten Herausforderungen? Von welchen Erfahrungen können Sie insbesondere profitieren?
Braun: Die größte Herausforderung im Studium war natürlich das Erlernen der biblischen Sprachen – Hebräisch und Griechisch. Als Lehrer habe ich in meinem ersten Studium Mathe und Englisch studiert. Aber die Kenntnis der alten Sprachen ist wichtig, habe ich mir gesagt, und nebenher gepaukt.
"Als erstes muss man das Bürokratische erledigen – das hat mich schon sehr an meine alte Schule erinnert."
Total neu und herausfordernd in der Kirche war für mich die spezielle Kultur. Die Landeskirchen sind gut durchstrukturiert, alles hat rechtlich Hand und Fuß. Das hat den großen Vorteil, dass es eine große Stabilität gibt und es wirklich fair zugeht, da ja alle gleich behandelt werden. Aber dadurch wird es natürlich langsamer. In den Kirchenvorständen setzt man sich selten zusammen um zu visionieren. Als erstes muss man das Bürokratische erledigen – das hat mich schon sehr an meine alte Schule erinnert. Aber eigentlich will ich gestalten, habe Lust, Gottesdienste zu feiern und mit Menschen in den Kontakt zu kommen.
Ich habe einen russlanddeutschen Background und komme ursprünglich aus einer freikirchlichen Gemeinde, einer Mennoniten-Brüdergemeinde. Da gibt es natürlich nicht so streng rechtlich geordnete Strukturen und vieles ist freier. Ich habe da viel Gutes mitbekommen, wie etwa meine Herzensfrömmigkeit. Aber dafür war es inhaltlich enger. Die Theologie ist recht konservativ, da habe ich mich nach und nach herausentwickelt. Jetzt bin ich sehr dankbar für die wissenschaftlich fundierte Theologie in der Landeskirche und freue mich, dass hier ein anderes Bibelverständnis möglich ist, dass man die Bibeltexte nicht wie ein Gesetzbuch lesen muss.
Sie haben sich bereits mit religiösen Fragen hobbymäßig beschäftigt, Gibt es ein besonderes Thema, das Sie bewegt?
Braun: Im Moment sind es die Themen Tod und Sterben, da besuche ich gerade ein Seminar zu. Mich bewegt das sehr, da ich in meinem Beruf immer wieder Menschen begegne, die mit diesen Themen konfrontiert sind und die ich in diesen Momenten richtig ansprechen möchte. Da spüre ich eine ganz hohe Sinnhaftigkeit. Ich spüre, dass ich den Menschen, etwas geben kann. Wenn ich bei ihnen bin, in ihrem persönlichen Leid und ihre Geschichte in den Kontext der christlichen Hoffnung stelle, dann merke ich, dass dies ein riesiger Trost für sie ist und absolut relevant. Das ist etwas, was mich zurzeit total berührt.
Nach ihrem Volontariat in der Pressestelle der Aktion Mensch arbeitete Alexandra Barone als freie Redakteurin für Radio- und Print-Medien und als Kreativautorin für die Unternehmensberatung Deloitte. Aus Rom berichtete sie als Auslandskorrespondentin für Associated Press und für verschiedene deutsche Radiosender. Seit Januar 2024 ist sie als Redakteurin vom Dienst für evangelisch.de tätig.
"Aber ich merke, wie ich persönlich total gewachsen bin und auch in meiner Beziehung zu Gott."
Ein anderes Thema, das mich bewegt ist meine neue Rolle als Papa. Wenn ich meine anderthalb Jahre alte Tochter im Arm halte oder mit ihr spiele, dann bekommt es für mich eine ganz neue Bedeutung, dass wir Gott Vater nennen. Das es da jemanden gibt, der mit demselben väterlichen Blick auf uns Menschen schaut, berührt mich total.
Haben Sie Tipps für Menschen, die mit dem Gedanken an einen Quereinstieg als Pfarrer spielen?
Braun: Ja, einen: Auf jeden Fall machen! Man hat oft so viele Träume und gerade in Richtung "Leidenschaftsberufe", also Berufe, die man aus Überzeugung macht. Gleichzeitig ist man aber viel zu ängstlich, um aus der Komfortzone herauszutreten. Aber gerade als Quereinsteiger hat man viele Vorteile. Man hat ja bereits Erfahrungen im Beruf gesammelt hat. Natürlich machen Prüfungen keinem Spaß, vor allem, wenn man das Ganze eigentlich schon hinter sich hat. Und man muss während des Vikariats mit ein bisschen weniger Geld auskommen. Aber ich merke, wie ich persönlich total gewachsen bin und auch in meiner Beziehung zu Gott.
Im Oktober werde ich Pfarrer und darauf freue ich mich, denn ich glaube, Religion und Kirche ist für viele Menschen immer noch absolut relevant. Das merke ich jeden Tag. Und ich freue mich, Gottesdienste halten zu können, neue Formate zu entwickeln, damit man immer mehr und immer wieder ins Gespräch kommt mit den Menschen. Kirche ist noch lange nicht abgeschrieben und ich glaube, sie hat eine gute Zukunft, weil Gott eine gute Zukunft mit seinen Menschen hat.