Ruf nach Staat bei Missbrauchs-Aufarbeitung

Diskussionsrunde im Altarraum einer Kirche.
epd-bild/Paul-Philipp Braun
Podiumsdiskussion während des Katholikentags in Erfurt zum Thema "Aufarbeitung sexualisierter Gewalt". v.l.n.r.: Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung Kerstin Claus, Mitbegründer der Betroffeneninitiative "Eckiger Tisch" Matthias Katsch, Bischof Michael Gerber, katholische Theologin Ute Leimgruber.
Katholikentag in Erfurt
Ruf nach Staat bei Missbrauchs-Aufarbeitung
Sexualisierte Gewalt durch Kirchenleute wurde 2010 zum öffentlichen Skandal. Danach hat in den beiden großen Kirchen die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen begonnen. Für viele Betroffene ist dieser Prozess zu schleppend und unzureichend.

Auf dem Katholikentag in Erfurt ist mehr staatliche Verantwortung bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in den Kirchen angemahnt worden. Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, forderte am Donnerstag einen Perspektivenwechsel. "Die Politik muss ein Wächteramt gegenüber den Kirchen einnehmen", sagte Claus unter großem Applaus von Hunderten Anwesenden in der Reglerkirche. Zugleich warnte sie davor, Betroffene auf einen Opfer-Status zu reduzieren.

Ohne die Einbeziehung der Betroffenen werde die Aufarbeitung sexueller Gewalt in den Kirchen nicht gelingen, fügte Claus hinzu. Sie bekräftigte zudem ihren Plan für eine bundesweite Erhebung zur Häufigkeit sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Dazu sollen Befragungen in 9. Schulklassen in allen Bundesländern stattfinden.

Aus dem Publikum kam die Frage, warum der Staat die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals den Täterorganisationen überlässt. Darauf sagte der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller: "Das ist eine politische Frage." Rechtlich wäre es möglich, dass der Staat eine gesetzliche Grundlage für eine unabhängige Aufarbeitung schafft, so wie das bereits in angelsächsischen Ländern geschehen ist.

Matthias Katsch, Mitbegründer der Betroffeneninitiative "Eckiger Tisch", äußerte seine Resignation darüber, dass die große Mehrzahl der Fälle sexualisierter Gewalt bereits strafrechtlich verjährt sei. Damit Betroffene schneller zu ihrem Recht kommen, sollten die Kirchen ihnen eine rechtliche Beratung zur Verfügung stellen. Viele Betroffene hätten weiterhin große Widerstände, kirchliche Stellen zur Aufarbeitung aufzusuchen.

Die katholische Theologin Ute Leimgruber schlug vor, den Paragrafen 174c im Strafgesetzbuch konsequent auf die Seelsorge auszuweiten. Paragraf 174c legt fest, dass sexuelle Handlungen innerhalb professioneller Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisse aufgrund der ihnen "innewohnenden Abhängigkeitsrelation" strafbar sind. Eine sehr große Zahl von Fällen sexualisierter Gewalt würden "im Kontext von Seelsorgebeziehungen" angebahnt, so die Professorin für Pastoraltheologie und Homiletik an der Universität Regensburg: "Seelsorge ist ein Tatort".

Der fünftägige 103. Deutsche Katholikentag in Erfurt steht bis Sonntag unter dem biblischen Leitwort "Zukunft hat der Mensch des Friedens" aus Psalm 37. In Thüringen sind katholische Christen mit einem Anteil von knapp 7,5 Prozent an der Bevölkerung in der Minderheit, rund 137.000 Katholiken leben im Bistum Erfurt.